Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Gefaehrtin Der Daemonen

Titel: Gefaehrtin Der Daemonen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marjorie M. Liu
Vom Netzwerk:
tippte an den Stein und fuhr mit dem Finger über die konzentrischen Rillen. »Es mag neun Wege hinein geben, aber nur einer führt zum Zentrum, sobald man in diese Öffnung geglitten ist … genau hier. Ein einzelner Pfad. Ein Ein-Pfad-Labyrinth. Und man braucht nur den Glauben, um bis zum Ende zu gelangen. Keine Logik, nur Ausdauer.«
    »Das würde meiner Mutter gefallen.«
    »Es gibt noch etwas anderes, das sie sicher noch mehr gemocht hätte. Den Archetypus des Kriegers.« Grant sah mir in die Augen. »Wenn du die Mythen studierst, die sich um Labyrinthe ranken, findest du bei ausnahmslos allen etwas Bösartiges, das in ihrem
Zentrum lauert. Der Minotaurus, Satan, Khumbaba. Und wo Böses ist …«
    »Gibt es jemanden, der dagegen kämpft.«
    »Im Labyrinth wird der Krieger die Dunkelheit besiegen«, erklärte er ruhig. »Und Erlösung für alle erreichen.«
    Ich schloss die Augen und stellte mir meine Mutter vor, die den Stein und die Gravuren betrachtete, während sie über die Zukunft ihrer Tochter nachdachte. »Das erklärt aber nicht, warum sie ihn mir nicht einfach gegeben hat.«
    »Vielleicht gehört dies zur Botschaft?« Grant hob eine Braue. »Überlasse alles dem Glauben, dem kreisförmigen Pfad. Vielleicht dachte sie ja, es würde mehr bedeuten, wenn du es … später bekämst.«
    Nach ihrem Tod. Eine Botschaft aus dem Grab. Das sah ihr jedenfalls ähnlich. Meine Mutter war zu Lebzeiten sehr … esoterisch. Der Tod hatte offenbar nichts daran geändert.
    »Vom Standpunkt des menschlichen Bewusstseins aus«, fuhr Grant nachdenklich fort, »ist ein Labyrinth ein Tor zwischen zwei Welten. Einige glauben, dass die prähistorischen Labyrinthe Fallen für böse Geister gewesen sind, symbolisch oder nicht.«
    Ich schüttelte den Kopf. »Ich bin überzeugt, die Botschaft ist angekommen.«
    Grants Lippen zuckten. »Aber es erklärt nicht die Abweichung von der Ikonografie. Der Mangel an Ordnung, die neun möglichen Eingänge.«
    Ich schmiegte mich enger an ihn. »Du klingst wie ein Professor.«
    »Gefällt dir das?«
    »Sprich weiter.«
    Er lächelte, aber plötzlich bildete sich eine schwache Falte zwischen seinen Augen. Er hob die Steinscheibe und drehte sie im Licht.

    »Was?«, erkundigte ich mich.
    »Etwas daran ergibt keinen Sinn. Es könnte allerdings an meiner Fantasie liegen.« Er zögerte, während er den Stein anstarrte. »Eine Person im Koma hat eine Aura. Tiefe Indikatoren. Aber je länger und tiefer jemand schläft, desto schwächer wird das Licht. Und jene, die jenseits aller Rettung geschädigt sind …«
    »Pulsieren.« Ich streckte die Hand aus, berührte die Gravuren, die silbrigen Flecken, fuhr die Rillen nach und spürte, wie sich etwas in meinem Verstand rührte: ein düsteres Flattern. »Sie sind auf Herzschläge reduziert.«
    Grant starrte mich an. »Du siehst es.«
    »Ich sehe etwas .« Mein Blick wurde von meiner Hand angezogen, ein merkwürdiges anderes Knäuel, ein Durcheinander aus Knoten und Komplikationen, ein Labyrinth aus Haut und Zeit und Tod. Jede Falte in meiner Haut war der Beweis eines Lebens, für das ich allein die Verantwortung trug. Davor wegzulaufen gelang nicht. Ich war das Gitter meines eigenen Käfigs. Schließerin und Eingeschlossene.
    Das Telefon läutete. Grant nahm nicht ab. Er zog mich an sich und beugte sich über meinen Körper, bis ich von seiner Haut vollkommen bedeckt war. Ich schlang meine Beine um ihn. Wenn er mich hielt, fühlte ich mich klein, und sicherer, als es gut war. Dazu warm. Wenn die Jungs schliefen, war Grant das Einzige, was mich berühren und was ich fühlen durfte.
    »Hör zu«, sagte er leise. »Das bist nicht du allein.«
    »Okay«, flüsterte ich. »Aber dieses Gespräch haben wir schon einmal geführt.«
    Er lehnte seine Stirn gegen meine. »Ich meine es ernst, Maxine. Bitte.«
    »Ich weiß.« Ich drückte ihm einen Kuss auf den Mundwinkel. »Stell dir vor.«

    Er lächelte, doch es wirkte etwas angespannt. Ich konnte seine Augen nicht sehen. Und ich dachte an den Dämon, Oturu. Ich schob Grant so weit zurück, dass ich ihm ins Gesicht zu sehen vermochte.
    Er verbarg nichts vor mir. Kein Zittern, auch nicht die Hitze oder seine Kraft, die stetig und ruhig war. Ich wusste nicht, was er in meinen Augen sah, aber ich wusste doch, was ich fühlte. Und das machte mir Angst.
    »Nicht«, sagte er.
    »Leute kommen meinetwegen zu Schaden.«
    »Glaube und Ausdauer.« Grant hob den Stein an. »Hör auf deine Mutter.«
    Die Ironie seiner Worte

Weitere Kostenlose Bücher