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Gefaehrtin der Nacht

Titel: Gefaehrtin der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Melissa de La Cruz
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ab.
    »Charlie, bitte!« Sie zog so heftig an ihrem Rucksack, dass ihr Bruder ausrutschte und im Gras landete.
    Während er sich wieder aufrappelte und seine Hose abklopfte, sah er sie finster an.
    »Was ist los mit dir?«, zischte er.
    »Lass mich einfach in Ruhe. Oder kannst du das nicht?« Sie hob die Hände und fuhr sich frustriert durch das lange blonde Haar.
    »Aber ich … ich …«
    Ich weiß. Du liebst mich. Du hast mich immer geliebt. Du wirst mich immer lieben. Ich weiß, Michael. Ich kann dich laut und deutlich hören.
    »Gabrielle!«
    »Ich heiße Allegra!« Sie schrie fast. Warum nannte er sie ständig bei diesem Namen? Und zeigte allen, wie besessen er von ihr war? Die Blue Bloods fanden es sicher nicht seltsam, weil sie wussten, wer sie waren. Doch die Red Bloods kannten ihre Geschichte nicht, konnten nicht ahnen, was sie einander bedeuteten, und das störte Allegra.
    Sie lebten nicht mehr im antiken Ägypten, sondern im zwanzigsten Jahrhundert! Die Zeiten hatten sich geändert, auch wenn der Rat der Ältesten nur schwerfällig darauf reagierte.
    Manchmal wollte Allegra einfach in den Tag hinein leben, ohne die Last ihres unsterblichen Daseins auf den Schultern – schließlich war sie erst sechzehn, zumindest in diesem Zyklus. Sie wollte eine Auszeit. Im Jahr 1985, in Endicott, Massachusetts, fand man es widerlich, wenn ein Junge in seine Schwester verknallt war. Und Allegra konnte die Red Bloods immer besser verstehen.
    »Belästigt der Typ dich, Legs?«, fragte Bendix Chase, der zu ihnen gestoßen war, als die Schulglocke ertönte.
    »Hat dieser Kerl dich gerade ›Legs‹ genannt?«, fragte Charles fassungslos.
    »Das ist schon in Ordnung«, sagte Allegra seufzend . »Falls ihr einander noch nicht vorgestellt wurdet: Bendix Chase, das ist mein Bruder Charlie.«
    »Neuling?«, witzelte Bendix und schüttelte Charles die Hand. »Schön, dich kennenzulernen.«
    »Nein, wir sind Zwillinge«, erwiderte Charles eisig. »Und ich bin in deinem Shakespeare-Kurs.«
    »Seid ihr sicher, dass ihr verwandt seid?« Bendix zwinkerte verschmitzt. »Ihr seht euch gar nicht ähnlich.«
    Charles lief rot an. »Natürlich sind wir sicher. Wenn du uns jetzt entschuldigen würdest …« Er wandte sich ab und zog Allegra mit sich.
    »Hey, es gibt keinen Grund, unhöflich zu werden. Übrigens hast du dein Buch fallen lassen.« Bendix gab Charles das Schulbuch zurück, das ihm beim Sturz aus der Hand gefallen war. Charles bedankte sich nicht.
    »Es gibt wirklich keinen Grund, sich so aufzuführen, Charlie«, stimmte Allegra Bendix zu und stellte sich neben ihn. Sofort legte er einen Arm um ihre Schultern.
    »Meine Liebe, ich glaube, wir haben heute einen Lateintest«, sagte Bendix. »Wollen wir?«
    Allegra ließ sich von dem beliebten Sport-Ass wegführen. Was sie nie getan hätte, wenn Charles nicht so aufdringlich gewesen wäre. Das geschah ihm recht. Sie ließ ihren Zwillingsbruder allein auf dem Innenhof zurück und er hörte nicht auf, ihnen nachzustarren.

3
Das einzige Fach, in dem Vampire versagen
    A llegra war eine erstklassige Schülerin, doch in Latein war sie eine absolute Versagerin. Es war zu schwierig für sie, die verfälschte Red-Blood-Version der Heiligen Sprache von der echten zu unterscheiden, und sie vermasselte es andauernd.
    In Latein gab es Deklinationen und drei grammatische Geschlechter, die für sie keinen Sinn ergaben. Sie würde die echte Sprache der Unsterblichen und die menschliche Fassung ganz sicher niemals auseinanderhalten können.
    Sie starrte auf das rote D- für mangelhaft, das oben auf ihrem Test fett eingekreist war. Das war so ätzend. Wenn sie ihren Notendurchschnitt nicht halten konnte, würde Cordelia sie von der Schule nehmen und zurück an die Duchesne schicken. Und alles würde von vorn beginnen: Sie wäre wieder eine Gefangene der großen Erwartungen an ihre Zukunft und an ihren Beitrag zum Erhalt der Blue Bloods.
    »Puh, das sieht übel aus«, bemerkte Bendix, der einen Blick auf ihren Testbogen geworfen hatte.
    »Was hast du bekommen?« Allegra zog fragend die Augenbraue hoch.
    Mit einem selbstgefälligen Lächeln hielt er ihr sein A+ unter die Nase.
    Warum musste er so verdammt perfekt sein? Es gab nichts, was Allegra mehr verabscheute, als das Wort »perfekt« – neben den Personen, die es verkörperten. Sie hasste es, wenn sie als perfekt bezeichnet wurde, wenn man nicht hinter ihr Äußeres blickte, hinter ihr glänzendes blondes Haar, die sonnengebräunte Haut

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