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Gefaehrtin der Nacht

Titel: Gefaehrtin der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Melissa de La Cruz
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Musikvideos anschaute – warum um alles in der Welt musste Eddie Murphy singen und so ein furchtbares gestreiftes Hemd tragen? –, verlor Allegra keinen weiteren Gedanken an ihn.

2
Die Van-Alen-Zwillinge
    A ls Dr. Perry aus New York ankam, erklärte er Allegra für gesund. Bereits am nächsten Tag war sie zurück in ihrem Wohnheim und konnte auch schon wieder am Unterricht teilnehmen. Sie wechselte gerade den Klassenraum, als ihr Bruder über den Innenhof auf sie zustürmte.
    »Nachdem ich es erfahren hatte, bin ich so schnell wie möglich hergekommen«, sagte Charles van Alen und griff behutsam nach ihrem Ellenbogen. »Wer war das? Bist du sicher, dass es dir gut geht? Cordelia ist außer sich …«
    Allegra verdrehte die Augen. Das Beschützer-Getue ihres Zwillingsbruders ging ihr schrecklich auf die Nerven. Seit sie fünf Zentimeter größer war als er, war es besonders schlimm geworden.
    »Mir geht es gut, Charlie, wirklich.« Sie wusste, dass er es hasste, bei seinem Spitznamen aus Kindertagen genannt zu werden, doch sie konnte es nicht lassen. Er war die letzte Person, die sie jetzt sehen wollte.
    Die Zwillinge hätten nicht unterschiedlicher sein können: Im Gegensatz zu Allegra war Charles van Alen klein für sein Alter, zudem hatte er dunkles Haar und kalte graue Augen. Anders als seine lässig gekleideten Schulkameraden, trug Charles im Unterricht eine Krawatte und hatte immer eine lederne Aktentasche dabei. Er war an der Endicott nicht sonderlich beliebt – und das lag nicht an seinen hohen Ansprüchen, sondern vielmehr daran, dass er sich ständig über die Schule beklagte und jeden wissen ließ, dass er nie hierhergekommen wäre, wenn seine Schwester nicht auf den Wechsel bestanden hätte. Die meisten Schüler hielten ihn für einen nervigen, aufgeblasenen Großkotz und im Gegenzug führte er sich auf, als stünden alle unter ihm.
    Allegra wusste, dass er damit vor allem seinen Größenkomplex überspielen wollte. Wenn er nur etwas lockerer werden würde. Der Arzt hatte ihm versichert, dass er noch wachsen und sich zu einem gut aussehenden Mann entwickeln würde. Seine Gesichtszüge wären im Moment bloß ein wenig unausgereift . In ein paar Jahren würde seine Nase zu ihm passen und die intensiven Augen und die tiefe Stirn würden sich zu einem ebenmäßigen Gesamtbild vereinen. Doch im Moment war Charlie van Alen nur ein weiterer Strebertyp aus dem Debattierclub.
    Er hatte das Wochenende in Washington D.C. verbracht, um an der Rhetorik-Endausscheidung teilzunehmen, worüber Allegra froh gewesen war. Ansonsten hätte er einen riesigen Wirbel in der Klinik veranstaltet und darauf bestanden, dass sie in eine bessere medizinische Einrichtung verlegt worden wäre. Charlie verhielt sich ebenso daneben wie Cordelia, wenn es darum ging, auf Allegra aufzupassen. Bei den beiden fühlte sie sich wie eine Porzellanpuppe: kostbar, zerbrechlich und unfähig, für sich selbst zu sorgen. Das machte sie wahnsinnig.
    »Komm, lass mich …«, begann er und griff nach ihrem Rucksack.
    »Den kann ich selbst tragen, sei nicht albern!«, fauchte sie ihn an. Sie versuchte, sich nicht schuldig zu fühlen, als sie seinen traurigen Gesichtsausdruck bemerkte.
    So sollte sie nicht mit ihrem Blutsverbundenen reden, doch sie konnte nicht anders.
    Charlie war natürlich Michael. Nach den Geschehnissen in Florenz konnte das niemand mehr bezweifeln – seitdem waren sie in jedem Zyklus als Zwillinge geboren worden. Das Haus der Geschichte bestand darauf, damit das, was damals passiert war, sich niemals wiederholen würde.
    Für Allegra war es mit jeder Wiedergeburt schlimmer geworden. Sie konnte es nicht genau in Worte fassen, aber seit dem Desaster in Florenz hatte sie sich immer mehr von ihm distanziert. Sie würde sich selbst nie verzeihen. Niemals. Es war alles ihre Schuld gewesen. Und die Tatsache, dass er sie noch immer liebte – sie für immer und ewig lieben würde –, erfüllte sie eher mit Wut als mit Dankbarkeit. Seine Liebe war eine Last. Mit jedem Zyklus glaubte sie stärker daran, dass sie seine Liebe nicht verdient hatte. Sie wusste nicht warum, doch es fiel ihr immer schwerer, seine Gefühle zu erwidern.
    Was für eine Ironie: Sie hatte sich falsch verhalten, doch er musste dafür büßen. Der Gedanke deprimierte sie und an diesem strahlend sonnigen Herbstnachmittag fühlte sie sich weiter von ihm entfernt als jemals zuvor.
    »Nein, lass mich das machen«, widersprach er und nahm ihr den Rucksack

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