Gefaelschtes Gedaechtnis
funktionieren«, sagte er, »aber in meiner Praxis hatte ich keine Verwendung dafür.«
»Nun ja, ich halte viel von solchen Tests«, erklärte Shaw, »und wenn wir genug Zeit haben, sollten wir auch mit dem Beck Depression Inventory ein paar Fragen klären.« Er sah das Misstrauen in Durans Blick und beruhigte ihn hastig: »Nur um uns ein umfassenderes Bild machen zu können.«
»Verstehe«, sagte Duran, »aber... hier geht es um Gedächtnis, nicht um meine geistige Gesundheit. Um mein Gedächtnis.«
Shaw wiegte den Kopf hin und her, als wäre die Unterscheidung belanglos. »Nun ja«, sagte er, »wenn das, was Sie mir erzählt haben, wirklich stimmt, dann liegt eindeutig eine wie auch immer geartete Dysfunktion vor. Die Tests sind lediglich diagnostische Hilfsmittel. Und als Allererstes müssen wir herausfinden, ob Ihre Amnesie organisch oder adaptiv ist, die Folge eines Traumas oder ... etwas anderes.« Er klatschte in die Hände. »Wir müssen eine Vorstellung davon bekommen, womit wir es eigentlich zu tun haben.«
»Und was könnte das sein?«, hakte Adrienne nach.
Shaw breitete die Arme aus. »Das lässt sich zu diesem Zeitpunkt unmöglich sagen. Amnesie kann eine ganze Reihe von Ursachen haben, zum Beispiel einen Schlag auf den Kopf, Epilepsie, extremen Stress, ja auch — ich möchte Ihnen keine Angst machen — ein Gehirntumor. Es könnte auch eine Form von Hysterie vorliegen.«
»Hysterie?«
Shaw verzog das Gesicht. »Der Terminus ist veraltet. Im Grunde ist damit adaptive Amnesie gemeint, also die Art von Amnesie, die als Folge psychologischer und nicht physiologischer Ursachen auftritt.« Shaw legte die Hände flach aneinander und spähte über die Fingerspitzen: »Natürlich können die Grenzen fließend sein. Aber im Allgemeinen ist Gesprächstherapie bei hysterischer Amnesie anwendbar. Heutzutage zählen wir sie zu den dissoziativen Störungen.« Er warf einen Blick auf die Uhr und sprang auf. »Auf jeden Fall liefern uns die Tests erste Anhaltspunkte.«
Er reichte ihnen die Hand und bugsierte sie dann Richtung Tür. »Also dann, bis um drei.«
Sie sahen nach dem Wagen (kein Knöllchen), fütterten die Parkuhr erneut und gingen dann in einen, Imbiss nur ein paar Querstraßen von Shaws Büro entfernt, wo sie Pastrami-Sandwiches mit eingelegten Gurken aßen und dazu Limo aus der Dose tranken. Duran war mürrisch, fühlte sich unwohl bei dem Gedanken, Patient zu sein, und bekam Shaws Worte nicht aus dem Kopf: kognitive Beeinträchtigung, Dysfunktion, Hysterie.
»Was ist los?«, fragte Adrienne und spießte eine Gurkenscheibe mit der Gabel auf.
Duran schüttelte den Kopf. »Wenn er versucht, mich in die Klapse zu stecken«, sagte er, »bin ich sofort wieder weg.«
»Die Klapse?«
»Das ist ein Fachausdruck«, erklärte er.
Da sie noch über eine Stunde Zeit hatten, beschlossen sie, das Büro von Mutual General Assurance aufzusuchen. »Wahrscheinlich rücken sie Kopien von Nikkis Bändern raus, wenn Sie darum bitten«, sagte Adrienne. »Ich meine, Sie sind schließlich deren Kunde, oder?«
Eine Fahrt mit der U-Bahn und ein kurzer Fußweg brachten sie ans Ziel, obwohl es wahrlich nicht danach aussah.
Die Adresse an der Avenue of the Americas stellte sich nämlich als eine Niederlassung von »Boxen Mail« heraus, eines dieser Geschäfte, wo Blisterfolie und Pappkartons verkauft sowie Sendungen per UPS, FedEx und per Post verschickt werden. Nebenbei vermietete »Box'n Mail« auch noch Postfächer für Leute, die ihre Post nicht gerne nach Hause bekommen wollten.
Das Büro von Mutual General Assurance in »Suite 1119« war in Wirklichkeit ein Fach mit einer Metallklappe davor.
Adrienne und Duran warteten in der Schlange hinter einer Frau, die ihrem Sohn an der Cornell University ein Paket mit Leckereien schicken wollte. Als sie an der Reihe waren, fragte Adrienne, wie man sich mit Mutual General Assurance in Verbindung setzen könne.
Der langhaarige Blonde hinter dem Schalter war die Unfreundlichkeit in Person. »Ganz einfach«, sagte er, »schreiben Sie denen einen Brief.«
»Aber Sie haben doch bestimmt eine Adressliste, nicht? Ich meine, es muss doch so was wie einen Vertrag zwischen Ihnen und denen geben.«
Der Mann schüttelte den Kopf und widmete seine Aufmerksamkeit dem Paket auf dem Tresen vor ihm, das er geschickt mit einem breiten Klebebandstreifen entlang der Kante versah.
»Könnten Sie mir nicht einfach eine Telefonnummer geben?« Adrienne gab nicht auf. »Es ist wichtig. Ich
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