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Gefaelschtes Gedaechtnis

Titel: Gefaelschtes Gedaechtnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John F. Case
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ist keine richtige Erinnerung. Eher wie eine ... wie eine Erinnerung an eine Erinnerung.«
    »Was noch?«
    »Musik.« Er neigte sogar den Kopf, als könnte er so besser hören, doch die Bewegung durchbrach seine Konzentration, und er öffnete die Augen und sah sie an.
    »Bleiben Sie dran«, bat sie.
    Er versuchte es, aber es war weg, und schließlich sagte er ihr das.
    Mittlerweile hatte der Regen nachgelassen, und der Himmel erhellte sich zu einem gelbstichigen Grau. »Das war seltsam«, sagte Duran. »Wie bei einer Séance.«
    Sie lehnte sich zurück, betrachtete ihn und spielte dabei geistesabwesend mit einem Turm. »Das war alles, was Ihnen in den Sinn gekommen ist? Rum, Hitze und Musik?«
    Er schüttelte den Kopf. »Ich habe frei assoziiert, und es war eher ein Gefühl als irgendwas anderes. Aber, ja: Das war alles.«
    Adrienne legte die Stirn in Falten und fragte mit ihrer Anwältinnenstimme: »Finden Sie es nicht eigenartig, dass Nikki diese lange Phase der Amnesie und all diese falschen Erinnerungen hatte — und Sie das auch haben?«
    Duran blickte verwirrt drein, als wollte er ihr darauf antworten, konnte es aber nicht. Schließlich sagte er: »Wir haben unterschiedliche Standpunkte.«
    »Sie haben sich doch selbst auf Band gehört.«
    »Ja, aber —«
    »Ja?«
    Er seufzte. »Meinen Sie, ich leide an Amnesie?«
    »Das hoffe ich.«
    Duran runzelte die Stirn. »Warum sagen Sie das?«
    »Weil es das kleinere von zwei Übeln ist«, erwiderte sie.
    Als der Nachmittag allmählich in den Abend überging, saß Adrienne wieder vor dem Laptop ihrer Schwester und arbeitete bei Kerzenlicht. Nach rund einer Stunde begann die Batterieanzeige zu blinken, und sie schaltete das Gerät aus.
    »Was ist mit ihren Kreditkartenabrechnungen und ihren Kontoauszügen?«, fragte Duran. »Wenn sie im Oktober verreist ist ...«
    Adrienne rief die Bank ihrer Schwester an und bat um Kopien der Auszüge und Schecks aus den letzten sechs Monaten. Die Bankangestellte war zunächst nicht dazu bereit, doch ihre Vorgesetzte erklärte sich schließlich einverstanden, die Unterlagen an die »Anschrift« ihrer Kundin zu senden. Mehr konnten sie nun mal nicht tun.
    Duran, der dem Telefonat lauschte, war beeindruckt, mit welcher Entschiedenheit Adrienne sich nicht mit einem Nein abspeisen lassen wollte.
    »Sie sind knallhart«, sagte er zu ihr, als sie auflegte.
    »Wie Sie schon sagten: Ich kann richtig fies sein.« Dann lächelte sie und fügte hinzu: »Kommen Sie, wir machen einen Spaziergang.«
    Überall lagen Blätter, und auf Straßen und Rasenflächen waren Äste und Zweige verteilt. In der Ferne heulten Sirenen. Und in der Luft lag das reinigende Prickeln, das manchmal auf ein Unwetter folgt.
    Sie zogen sich die Schuhe aus und gingen am Strand entlang. Der Sand war übersät mit Treibgut, das die wütende Brandung angespült hatte: skelettierte Königskrabben, Taustücke und Angelleinen, zerfetzte Styroporteile, Treibholz, Fische.
    Nachdem sie zum Cottage zurückgekehrt waren, ging Adrienne joggen. Duran hatte vergessen, sich Laufschuhe zu kaufen, also blieb er allein zurück, saß in der Küche und versuchte, das Gefühl des Verlustes in den Griff zu bekommen, das er empfunden hatte, als sie vor dem Cottage angehalten hatten — und es nicht Beach Haven gewesen war. Er konnte das, was er empfand, nicht in Worte fassen, aber es war, als wäre er von oben auf eine Treppe getreten, um dann feststellen zu müssen, dass es die Treppe gar nicht gab und er nun im freien Fall kopfüber durch den Raum stürzte. Das Einzige, dem er trauen konnte, war das Hier und Jetzt. Die Welt unmittelbar vor ihm, nicht, wie sie gewesen war oder sein würde, sondern nur, wie sie jetzt war.
    Die Küche. Dieser Moment. Sogar die Erinnerung, wie er mit Adrienne Schach gespielt hatte, so detailgenau sie auch war — so frisch sie auch war —, blieb unzuverlässig. Auch seine Erinnerungen an Beach Haven waren detailgenau gewesen. Und doch war das Cottage ein Fantasieprodukt, ebenso imaginär wie »Jeffrey Duran«. Womit immerhin auch die Möglichkeit bestand, dass Adrienne eine Illusion war. Ebenso wie gestern und der Tag davor. Nico. De Groot. Und seine Wohnung in Washington. Alles ein Produkt sei­ ner eigenen Fantasie. Oder Gottes Fantasie.
    Vielleicht —
    »Das war toll!«, rief Adrienne, als sie zur Tür hereinkam, strahlend vor Vitalität.
    Er beobachtete diese überaus reale Frau, wie sie sich an der Küchenspüle ein Glas Wasser einlaufen ließ und es in

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