Gefaelschtes Gedaechtnis
nehmen.«
Slough ließ sich in einen der Sessel fallen und runzelte die Stirn. »Eine Weile Urlaub ... Könnten wir darüber denn nicht im Büro sprechen?«
»Tja«, entgegnete Adrienne, »das ist es ja gerade. Das können wir eben nicht.«
Sloughs Gesicht verzog sich zu einer skeptischen und zugleich verwunderten Grimasse. »Wie bitte?!«
»Ich kann nicht ins Büro. Wenn Sie mich das bitte erklären lassen ...«
Und sie tat es. Sie erzählte die Geschichte so sparsam wie möglich, fasste ihre Kindheit in dreißig Sekunden zusammen, kam dann gleich auf die Krankheit ihrer Schwester in Europa zu sprechen. Slough hörte nachdenklich mit gefurchter Stirn zu, trank seinen Kaffee und verzog mitfühlend das Gesicht, als Adrienne schilderte, wie sie die Leiche ihrer Schwester gefunden hatte. Er war offensichtlich fasziniert. Aber damit er nicht vorschnell folgerte, sie wolle Urlaub nehmen, um trauern zu können (was, wie sie wusste, als »unanwaltlich« galt), kam sie zügig auf die unselige Beziehung ihrer Schwester zu Duran zu sprechen, auf Bonilla, seine Ermordung, das Misstrauen der Polizei und ... na ja, eben alles, auch auf den Zwischenfall im Comfort Inn und Durans bevorstehende Operation. Als sie fertig war, stellte sie ihre Tasse ab und sagte: »Sie sehen also: Ich muss der Kanzlei wirklich eine Weile fernbleiben. Weil — so melodramatisch das auch klingt — irgendjemand versucht, mich zu töten.«
Slough setzte sich in seinem Sessel zurück, nickte und blickte nachdenklich drein. Schließlich beugte er sich vor und sagte: »Sie ... hausen also mit diesem Burschen zusammen?«
Adrienne klappte der Unterkiefer runter.
»Habe ich das richtig verstanden?«, fragte Slough.
»Nein«, widersprach sie, »so ist das nicht. Das ist —«
Der Anwalt schnaubte. »Ich will Ihnen was sagen: Meiner Ansicht nach gibt es kaum eine Kanzlei in Washington, die so viel Verständnis für ihre Mitarbeiter an den Tag legt wie Slough & Hawley. Wenn bei uns jemand eine Trauerphase durchläuft, haben wir doch vollstes Verständnis. Da drücken wir gerne auch mal ein Auge zu. Aber diese Geschichte ... da ist es mit mal ein Auge zudrücken längst nicht mehr getan. Polizei? Comfort Inn? Mein Gott, gute Frau —was kommt als Nächstes? Ein Campingplatz?« Slough schüttelte bedauernd und ungläubig den Kopf, dann stand er auf.
»Aber«, setzte Adrienne an, »Sie verstehen das nicht—«
»Oh doch, das glaub ich schon«, entgegnete Slough. »Die Details mal beiseite gelassen: Sie sind unfallgefährdet.« Er hob mahnend den Zeigefinger, um seine Aussage zu bekräftigen. »Keine gute Eigenschaft für eine Anwältin.« Er zögerte. » Ich muss in Ruhe darüber nachdenken«, sagte er und klatschte dann in die Hände, um zu signalisieren, dass das Gespräch zu Ende war.
Und, das spürte sie, nicht nur das Gespräch. Sie fürchtete, dass sie gleich losheulen würde. Sie unterdrückte die Tränen, folgte ihrem Boss zur Haustür, wo er sich ihr zuwandte.
»Vielleicht ist ein Urlaub doch gar keine so schlechte Idee«, schlug er vor. »Nehmen Sie sich ein bisschen Zeit, um wieder mit sich ins Reine zu kommen. Regeln Sie Ihre Angelegenheiten. Danach ... schauen wir mal, wie die Dinge stehen.«
Adrienne nickte, biss sich auf die Unterlippe, sagte mit gepresster Stimme »Danke« und schenkte ihm ein strahlendes Lächeln.
»Bette soll Ihre Arbeit an dem Asphalt-Fall übernehmen. Sie ist nicht unbedingt die Hellste, aber sie ist immerhin da. Und im Augenblick bin ich schon damit zufrieden.«
Adrienne schaffte es gerade noch bis zum Ende der Einfahrt, dann brach sie in Tränen aus. Sie hatte so schwer geschuftet, so lange. Und plötzlich war sie jemand, bei dem es — wie hatte er es ausgedrückt? — mit mal ein Auge zudrücken längst nicht mehr getan war.
Jemand, für den kaum noch Hoffnung bestand.
Sie fuhr über Rock Creek Park nach Georgetown hinein. Nachdem sie den Wagen direkt vor einem Dean & DeLuca's geparkt hatte, trank sie einen Cappuccino in dem langen, verglasten Raum neben dem Feinkostladen_ Sosehr sie das Gespräch mit Slough auch deprimiert hatte — sie würde sicher im nächsten Jahr nicht mehr für die Kanzlei arbeiten —, war sie doch erleichtert, es endlich hinter sich zu haben. Auch erleichtert, sich nicht mehr mit Asphalt beschäftigen oder für Curtis Slough die Arbeit erledigen zu müssen. Im Grunde, wenn sie so richtig drüber nachdachte, war es vielleicht sogar besser so. Es gab auch noch andere Jobs, sagte sie
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