Gefaelschtes Gedaechtnis
Meditation. Ein Artikel von mir wurde in der Times abgedruckt.«
»Wovon handelte er?«
»Gemeinschaftliche Trinkriten als Mittel zur Linderung Jahres zeitlich bedingter affektiver Störungen.«
»Und wie ging das?«
McBride lachte. »Ich bin im Februar an den Yukon gefahren und habe mich mit den Inuit betrunken.«
»Und was dann?«
»Auf einmal war mir das Wetter völlig egal.«
Shaw lachte. »Sie erwähnten die Karibik.«
»Richtig. Eine Zeit lang war ich in Haiti und habe dort Takt und Tempo als Signale bei posthypnotischen Suggestionen untersucht.«
»Klingt faszinierend.«
»War es auch«, sagte McBride. Er trommelte mit den Fingerspitzen einen Rhythmus auf den Tisch. Taktaktak tak tak. »Schon so ein kurzer Takt konnte ausreichen.«
»Erstaunlich. Andererseits auch wieder nicht. Auditive Erinnerungen sind nämlich im Grunde sequenziell. Wenn man also eine Abfolge von Klängen vorgegeben hat, neigt der Verstand dazu, sie zu vervollständigen. Und wo waren Sie sonst noch?«
»Ich sollte noch nach Jamaika.«
Shaw wartete, dass McBride fortfuhr. Als nichts kam, brach der Psychiater das Schweigen. »Ja?«
Plötzlich konnte Duran nicht mehr sprechen. Er spürte in der Kehle einen Schmerz, der irgendwie mit seinem Flug von Port-au-Prince nach San Francisco zusammenhing. Der Flug nach Hause war teuer, doch in seiner Wohnung konnte er gut arbeiten, und was noch entscheidender war, er hatte so Gelegenheit, mit Judy und Josh zusammen zu sein. Sie konnten eine Familie sein, wenn auch nur für ein paar Tage im Monat.
Dass Judy schwanger war, hatte sich herausgestellt, kurz nachdem er das Stipendium erhalten hatte. Sie waren beide der Meinung gewesen, dass er sich so eine Chance nicht entgehen lassen konnte irgendwie würden sie es schon hinkriegen. Er würde so oft wie möglich nach Hause kommen, und alles Weitere würde sich zeigen.
In den Monaten vor Joshs Geburt war Judy ab und zu mal für ein paar Tage oder eine Woche nachgekommen — wenn sie es sich in ihrem Job als Grafikdesignerin erlauben konnte. Aber das hörte auf, als Josh dann da war. Einerseits konnten sie es sich finanziell nicht mehr erlauben und selbst wenn, die Herumreiserei wäre nichts für ein Baby gewesen.
»Lew?« Dr. Shaw beugte sich mit besorgter Miene zu ihm vor.
McBride konnte draußen einen Hubschrauber hören und auf der Straße das Heulen einer Sirene, die immer näher kam. Sonnenlicht fiel zwischen den Stäben der Jalousie hindurch und malte Streifen auf den blutroten, orientalischen Teppich.
Nichts für ein Baby.
»Lew?«
Ihm war, als hätte das Muster aus Licht und Schatten sich vom Teppich gehoben und würde ihm durchs Gehirn scheinen. Und das Sirenengeheul wäre das untröstliche Schreien eines Neugeborenen.
Ein Baby.
Er hörte Shaws Stimme, aber sie war sehr schwach und gedämpft, als käme sie von weit her oder würde durch dicke Dämmschichten zu ihm dringen.
»Jeff? Was ist los mit Ihnen? Ist alles in Ordnung?«
Er antwortete nicht. Er war in dem ockerfarbenen Raum. Das Kinderzimmer. Das Schlachthaus. Er hatte den Baseballschläger in der Hand, den Judy im Schirmständer an der Tür aufbewahrte. Er spürte, wie der Schläger Knochen zerschmetterte und in das melonenweiche Fleisch seines Sohnes und dann seiner Frau sank. Blut spritzte, trübte die Luft. Er rutschte aus, schlitterte und schlug immer wieder zu, bis von Joshua und Judy nichts als eine breiige Masse übrig war.
31
U m mehr über Calvin Crane herauszufinden, genügte eine Taxifahrt zur New York Public Library. Adrienne ging die Treppe zum Lesesaal im zweiten Stock hoch, wo sie zwischen den Nachschlagewerken eine abgegriffene Ausgabe von »Who's Who« fand. Sie trug den weinroten Band zu einem der Mahagonitische, nahm neben einem älteren Mann Platz und suchte den Eintrag für Crane. Sie wurde fündig und las:
Crane, Calvin Fletcher
Philanthrop, Stiftungsleiter. Geb. 23. Juli 1917, Patchogue, New York. Yale '38. Harvard Law '41. Anwalt bei Donovan, Leisure (New York) — 1942, 1945. Office of Strategie Services (OSS), London, Basel, Major 1942-45. Central Intelligence Group (CIG, Washington, D. C.) 1946-47. Mitarbeiter im Diplomatischen Dienst, Außenministerium (Zürich) 1947-49. Zweiter Schatzmeister, Institut für globale Studien (IGS) 1949-63 (Zürich). Direktor und Schatzmeister, IGS 1964-89; Direktor i. R., IGS 1989. Ehrenlegion, 1989 Mitglied im Rat für ausländische Beziehungen, Bilderburger
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