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Gefaelschtes Gedaechtnis

Titel: Gefaelschtes Gedaechtnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John F. Case
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fuhr hinunter ins Erdgeschoss.
    Das Thema war mittlerweile so ziemlich tabu, nur noch eine Sache zwischen Nikki und ihrem Therapeuten. Adrienne konnte einfach nicht mit ihr darüber reden, ohne aus der Haut zu fahren, was Nikki natürlich zu denken gab. Ihrer Meinung nach befand Adrienne sich in der »Negationsphase«. Sie hatte alles »verdrängt«. Und so schlimm das auch für Adrienne war (so zumindest die Argumentation), für Nikki war es mindestens genauso schlimm. Denn wo blieb da ihre »Validierung«?
    Also wirklich ...
    Andererseits wäre selbst dieser Irrsinn nicht so schlimm gewesen, wenn Nikki mehr die Alte geblieben wäre. Aber die Nikki, die im Watermill wohnte, war nicht mehr die lebensprühende und lustige Schwester, für die Adrienne alles getan hätte. Diese Nikki war abgedreht, und das von Tag zu Tag mehr.
    Wegen Berlin, dachte Adrienne, wegen dem, was da passiert war.
    Damals, kurz nach ihrem High-School-Abschluss, war mit Nikki alles in Ordnung gewesen, obwohl Adrienne sie so gut wie nie zu Gesicht bekam. Entgegen Decks und Marlenas Rat war Nikki in einen Bus nach New York gestiegen, um dort ihren Traum von einer Karriere als Model zu erfüllen. Deck war überzeugt, dass sie in einem Monat wieder da wäre, aber zur Überraschung aller (außer Nikkis) hatte sie fast augenblicklich Erfolg. Ein Jahr nach ihrem 19. Geburtstag stand sie schon bei der Marrakesh Agency unter Vertrag und hatte eine Fünfzimmerwohnung in SoHo. Sie schickte Adrienne Postkarten von Orten wie Jamaika und rief jede Woche an, und schon allein der Klang ihrer Stimme - >Hallo, A!< mit einem leisen Lachen — ließ das Herz ihrer kleinen Schwester höher schlagen.
    Adrienne dachte damals, dass Nikki ein gutes Leben hatte, was auch der Fall war, aber eben auch ein schnelles. Bei der Rückkehr von einem Aufnahmetermin auf den Cayman Islands wurde ihr Gepäck am New Yorker Flughafen durchsucht. Ein paar Thai-Sticks fielen den Beamten in die Hände, und das war's: 200 Stunden gemeinnützige Arbeit, tausend Dollar Geldstrafe und das Aus bei Marrakesh.
    Natürlich hätte Nikki das durchstehen können, aber sie wollte nicht. Sie haute einfach ab und kam nicht mehr wieder, behauptete, sie mache »eine Abenteuerreise«. Adrienne bekam Karten und Anrufe von fast überall auf der Welt. Jedes Mal fragte sie ihre Schwester als Erstes: »Wo bist du?« Oft musste sie im Atlas nachsehen, wo Nikki gerade war, und informierte sich im Lexikon, stellte sich Austin, Vancouver und Telluride vor. Barcelona, Amsterdam und Berlin.
    Dann ... nichts. Adrienne studierte im zweiten Semester an der University of Delaware, als von ihrer Schwester kein Lebenszeichen mehr kam. Deck und Marlena versuchten, sie ausfindig zu machen, aber viele Möglichkeiten hatten sie nicht. Sie telefonierten herum, gaben Anzeigen auf und engagierten einen Privatdetektiv - alles vergeblich. Dann starb Marlena. Adrienne studierte Jura, und kurz darauf starb auch Deck. Zum ersten Mal war Adrienne wirklich ganz allein auf der Welt.
    Zwei weitere Jahre vergingen, bevor sie Nikki wiedersah, und das per Zufall. Adrienne hatte sich in einem Laden in der Georgetown Mall ein paar Clogs gekauft und wollte gerade gehen - und da stand sie, so schön wie eh und je, auf der anderen Seite des Ladens und drehte ihren Fuß, um zu sehen, wie ihre neuen Sandalen wirkten. Jahrelang hatte Adrienne von diesem Wiedersehen geträumt - und als es plötzlich so weit war, verschlug es ihr den Atem. Schwer zu erklären, wie richtig es ihr vorkam, ihre Schwester zu sehen, nachdem sie sich so oft eingebildet hatte, sie zu sehen, nachdem sie so oft gedacht hatte, es wäre Nikki, und sie war es dann doch nicht. Nikki zu finden, Nikki zu sehen — es war ein Moment, der genau passte, so natürlich wie der harmonische Schlussakkord in einem großen Musikstück.
    Und es gab keinen Zweifel, dass sie es war, nicht einen Augenblick der Unsicherheit, obwohl sie einander fast zehn Jahre nicht gesehen hatten. Zögernd und auf Zehenspitzen, die Schuhe in der Hand, war sie den Gang hinuntergegangen und vor ihr stehen geblieben: »Nikki?«, und Nikki hatte aufgeblickt, die Stirn leicht gerunzelt — und dann war ihr Gesicht von dem offensten, breitesten Lächeln erhellt worden. Und sie beide hatten vor Freude aufgeschrien und sich umarmt, und Nikki hatte gerufen: »Meine kleine Schwester!«
    Wie Nikki erzählte, hatte sie in Berlin bei ihrem Lover, einem jungen Deutschen namens Carsten Riedle, eine Überdosis genommen. Der

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