Gefaelschtes Gedaechtnis
voll mit grauem Wasser lag. Die Augen weit offen, mit leicht überraschtem Blick.
Die Motten in ihrem Bauch flogen auf - während ihr die Welt unter den Füßen wegsackte, und als Adrienne versank, spürte sie einen Schmerz an der Schläfe aufblitzen. Dann war es wieder dunkel.
Als sie erwachte, saß ein Polizist in einem Sessel neben ihr und sprach leise in ein Handy. Das Licht war an. Ihr Kopf dröhnte. Sie lag auf einer Couch, ein Kissen unter den Füßen.
»He«, sagte sie klagend und flehend zugleich. Sie stützte sich auf einen Ellbogen und setzte sich auf. Langsam.
»Sie haben sich schwer den Kopf gestoßen, als Sie in Ohnmacht gefallen sind«, erklärte der Cop.
In Ohnmacht? Wieso in Ohnmacht? Sie hatte im Badezimmer gestanden. Plötzlich erinnerte sie sich an die lange, schmetternde Jazztrompete, und sie sah wieder das Bild vor sich — die Augen ihrer Schwester. Ein Schluchzen stieg ihr in die Kehle.
»Da war nichts mehr zu machen«, erklärte der Cop. »Sie muss auf der Stelle tot gewesen sein.«
Sie machte ein Geräusch, das irgendwo zwischen Stöhnen und Wimmern lag. Dann vergrub sie das Gesicht in den Händen und ließ den Tränen freien Lauf.
»Der Portier hat uns verständigt. Mein Partner und ich waren ganz in der Nähe.«
Zum ersten Mal bemerkte sie einen zweiten Polizisten, der an der Tür stand und leise mit Ramon sprach.
»Der GM ist schon unterwegs«, sagte der Cop weiter. »Und ein Rettungswagen. Obwohl ...«
Der GM, dachte Adrienne, während sie sich die Initialen durch den Kopf gehen ließ. Der Gerichtsmediziner. Erneut blitzte das Bild ihrer Schwester vor ihren Augen auf. Sie lag in der Wanne, bis zum Hals im eiskalten Wasser. Mit einem Gerät — einem Radio oder so — im Wasser zwischen ihren Beinen.
Sie musste sie da rausholen.
Die jähe Blutleere im Kopf, als sie auf die Beine kam, machte sie schwindelig, und sie blieb schwankend stehen. Ihr Kopf dröhnte wie die Basstrommel in einer High-School-Band. Sie spürte die Hand des Polizisten auf ihrem Arm. »Wir müssen sie da rausholen«, sagte sie und machte einen Schritt auf die Badezimmertür zu.
»Nein.« Ganz behutsam drückte er sie wieder hinunter auf die Couch.
»Ihr ist kalt!«, schluchzte Adrienne.
»Nein, ihr ist nicht kalt. Sie ist —« Der Polizist blickte sich ratlos um, als suche er jemanden, der ihm bei der Erklärung helfen könnte. Aber es war niemand da. »Ihr geht's jetzt gut«, sagte er. »Was auch war, sie leidet nicht mehr.«
Adrienne erwachte kurz nach Tagesanbruch in ihrer eigenen Wohnung. Zu ihrer Überraschung war sie noch immer angezogen und lag auf der Decke auf ihrem Bett. Kurz bevor sie die Augen öffnete, erinnerte sie sich ...
Sie stand auf, ging in die Küche und machte sich mit dem Plastikfilter und den Filtertüten, die sie benutzte, eine starke Tasse Kaffee. Als sie sich an den Küchentisch setzte, dachte sie: Das wär's. Sonst ist niemand mehr da. Jetzt bin ich Vollwaise. Tränen stiegen ihr in die Augen, und sie blinzelte sie zurück, fast wütend. Wer tut dir eigentlich Leid?, fragte sie sich. Du selbst oder Nikki? Dann nahm sie einen Schluck Kaffee und sah auf die Uhr. 6:02. Das erste graue Morgenlicht.
Ihr Kopf schmerzte von dem Schlag gegen das Waschbecken, als sie ohnmächtig geworden war. Sie vermutete, dass sie noch unter Schock stand, und fragte sich, was sie tun sollte. Mach dir eine Liste, sagte sie sich. Sie war groß im Listenmachen und überhaupt, wenn Anwälte in einer Krise steckten, taten sie genau das: Sie machten Listen. Sie zog einen Stift aus dem Becher neben dem Telefon, suchte sich einen Post-it-Block und begann zu schreiben:
1. Bestattungsunternehmen
Der Gerichtsmediziner hatte gesagt, es würde eine Obduktion vorgenommen werden, wahrscheinlich am Morgen. Er hatte ihr seine Karte gegeben und sie gebeten, ihn am Nachmittag anzurufen. Wenn sich nichts Unvorhergesehenes ergab, würden sie die »sterblichen Überreste« noch am selben Tag freigeben. Also musste sie ein Bestattungsunternehmen beauftragen.
2. Den GM anrufen.
3. ... Sie zögerte. Was war 3.? Dann fiel ihr ein, dass 3. dieser Psychologe war, der ihre Schwester umgebracht hatte. Duran — so hieß er. Jeffrey Duran.
Aber nein. Um diesen Dreckskerl würde sie sich später kümmern. Im Moment gab es Dringlicheres als Rache. Also war 3. etwas anderes. Zum Beispiel ein Gedenkgottesdienst. Sie nahm einen Schluck Kaffee und überlegte, was Nikki gewollt hätte. Und dann fiel es ihr ein: ein
Weitere Kostenlose Bücher