Gefaelschtes Gedaechtnis
Sie näherte sich der Bahnsteigkante, blickte nach links und sah die Scheinwerfer des Zuges im Tunnel flackern. Irgendwo, klingelte auf einmal ein Telefon. Lauter und lauter.
Sie träumte. Aber das Klingeln war nicht in ihrem Traum.
Das Telefon war real und die U-Bahn ein Phantom. Sie wusste das, noch während sie davon träumte, aber es machte keinen Unterschied, dass sie es wusste. Der Traum hatte sie weiter im Griff, während sie nach dem Hörer auf ihrem Nachttisch tastete.
»Hallo?«
Die Stimme am anderen Ende identifizierte sich als »Ms. Neumann« von der Gerichtsmedizin. »Ich rufe an wegen der sterblichen Überreste von Nicole Sullivan. Mit wem spreche ich bitte?«
Bei den Worten »sterbliche Überreste« setzte Adrienne sich auf, und das Aufsetzen riss sie aus dem Traum. »Ich bin Nikkis Schwester. Halbschwester. Adrienne Cope.«
»Laut Polizeibericht sind Sie die nächste Angehörige.«
»Das stimmt. «
»Also, wir brauchen den Namen eines Bestattungsunternehmens — für die weitere Abwicklung der sterblichen Über —«
Adrienne fiel ihr ins Wort. »Ich verstehe.« Abwicklung der sterblichen Überreste? Als wäre Nikki ein Geschäft oder so.
»Und?« Die Ungeduld der Frau war förmlich greifbar.
»Ich bin zum ersten Mal in so einer Situation«, erklärte Adrienne. »Deshalb ... weiß ich nicht recht —«
»Ich kann Ihnen eine Liste faxen, wenn Sie Fax haben«, schlug die Frau vor.
»Hab ich.«, erwiderte Adrienne. »Direkt neben mir.« Sie gab ihr die Nummer durch, und die Frau sagte, sie würde auf eine Antwort warten.
»Die sterblichen Überreste sind freigegeben. Sagen Sie uns nur, wo wir sie hinschicken sollen.«
»Okay.«
»Könnten Sie uns wohl bis spätestens heute Nachmittag Bescheid geben? Das wäre gut«, fügte die Frau hinzu.
»Ich sag Ihnen gleich Bescheid, sobald ich mich entschieden habe«, versprach Adrienne und legte den Hörer auf die Gabel. Dann stand sie auf, zog sich rasch an und befestigte die Leine an Jacks Halsband. Mrs. Spears duldete keine Tiere im Haus, aber »unter den gegebenen Umständen« hatte sie sich einverstanden erklärt, dass Jack bis zum nächsten Wochenende blieb, an dem Ramon ihn zu sich nehmen konnte.
Jack war schon an der Tür und kratzte mit den Pfoten daran, weil er es nicht erwarten konnte, endlich Gassi zu gehen.
Die beiden verließen das Haus und gingen durch ein kleines Stück Garten in die Garage, wo Adrienne einen Knopf drückte, sodass das Garagentor klappernd vom Boden gehoben wurde. Noch während das Tor ins Dach rollte, zerrte Jack sie in die Gasse hinter den Häusern.
Auf der Straße dachte Adrienne, dass sie den Hund vermissen würde, obwohl sie nicht die Zeit hatte, sich um ihn zu kümmern. Es war erstaunlich, wie viele Leute stehen blieben, um ein bisschen zu plaudern - vorgeblich mit ihr, doch in Wahrheit mit Jack. So brauchte sie fast zehn Minuten zu Heller's Bakery, die doch nur eine Querstraße entfernt war. Dort band sie die Leine an eine Parkuhr, ging hinein, um ein Milchbrötchen zu kaufen, und kam kurz darauf mit einem Croissant für Jack zurück.
Als sie zurück in die Wohnung kamen, spie das Faxgerät gerade die letzte Seite eines mehrseitigen Fax von der Gerichtsmedizin aus. Jack sprang auf die Couch und rollte sich zusammen, während Adrienne eine Hand voll Blätter vom Boden aufsammelte. Auf einen Blick sah sie, dass es eine alphabetische Liste mit den Bestattungsinstituten in Washington, D. C., war.
Sie rief das Bestattungsunternehmen Albion an, das ziemlich oben auf der Liste stand. Der Mann, mit dem sie sprach, hatte die sanfte und vertrauliche Stimme eines Autoverkäufers unter Einfluss von Beruhigungsmitteln. Als sie seine Leier unterbrach, um klarzustellen, dass sie kein Interesse an einem umfassenden Servicepaket habe, bot er, ohne aus dem Takt zu kommen, die »preisgünstige« Alternative an, ohne »Aufbahrung« oder »Gottesdienst« und mit einem »klassischen«, wenn auch »schlichten« Sarg. Dennoch stellte sich bald heraus, dass selbst die einfachste Bestattung mehrere tausend Dollar kosten würde.
Mit seiner seidenen Stimme spielte Barrett Albion die Summe herunter und sagte: »Wir akzeptieren die meisten größeren Kreditkarten mit Ausnahme von American Express. « Als Adrienne angesichts der Kosten verstummte, erinnerte er sie daran, dass ».im Nachlass häufig eine Summe für diesen Zweck vorgesehen ist«.
Erneut zögerte sie. Sie hatte sich eine anständige Bestattung für ihre Schwester
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