Gefaelschtes Gedaechtnis
Stunde. In der Wohnung ihrer Schwester.
Die Tür öffnete sich, und ein Mann stand im Türrahmen, ging dann in die Hocke und klatschte in die Hände, während der Hund auf ihn zusprang. » Tranquilo, Jack, tranquilo !«
Ramon.
Adrienne räusperte sich, während der Portier den Kopf des Hundes streichelte und die ganze Zeit mit ihm sprach. Doch er schien sie nicht zu hören, und deshalb hob sie die Stimme.
»Hi.«
Er blickte auf, verdutzt, dass er nicht allein war. Sobald er Adrienne sah, richtete er sich auf und lächelte leicht verlegen. »Ich hab mir Sorgen um den Hund gemacht«, sagte er, während er die Tür hinter sich schloss. »Ich dachte, ich geb ihm was zu fressen, na ja, geh mit ihm Gassi ...«
Adrienne nickte. »Ich auch«, sagte sie.
Ramon trat von einem Bein aufs andere. »Tja ...« Er blickte sich um, unsicher, was er sagen sollte. »Jetzt, wo Sie da sind, kann ich ja —«
»Ich möchte Ihnen danken wegen gestern Abend«, sagte Adrienne. »Es — es war einfach zu viel für mich.«
Ramon nickte. »Es war schrecklich«, gab er zu. »Das Schrecklichste, was ich je gesehen habe.«
»Ich weiß.«
»Ich bin bloß der Portier, aber — die Lady war meine Freundin, wissen Sie? Wir haben manchmal geplaudert.«
Adrienne nickte.
»Also, Sie werden bestimmt einen Gottesdienst abhalten lassen«, sagte Ramon.
»Ich denke, ja.«
»Und vielleicht könnten Sie mir Bescheid geben?«
»Natürlich.«
»Ich würde nämlich gern kommen.«
»Okay.«
Der Portier trat auf sie zu, holte eine Brieftasche hervor und zog eine lächerlich billige Visitenkarte heraus. In der oberen rechten Ecke waren die Masken der Tragödie und Komödie in Gold erhaben aufgedruckt. In der Mitte standen sein Name - Ramon Gutierrez-Navarro - und eine Telefonnummer.
»Ich ruf Sie an«, versprach Adrienne. »Das war übrigens einer der Gründe, warum ich hergekommen bin. Um nach einem Adressbuch zu suchen. Damit ich ihren Freunden mitteilen kann ... was passiert ist.«
Ramon nickte nachdenklich und runzelte die Stirn. »Sie ist nicht oft ausgegangen«, sagte er. »Hatte nicht oft Besuch.«
Jetzt nickte Adrienne.
»Bei einer so hübschen Frau, da denkt man eigentlich ...« Er ließ den Gedanken unausgesprochen, wechselte dann das Thema. »Was ist mit Jack?«, fragte er. »Was soll aus ihm werden?«
Adrienne schüttelte den Kopf. »Ich weiß es nicht. Meine Vermieterin wohnt über mir, und sie ist nicht gerade eine Hundenärrin.«
»Ich hab mir nämlich überlegt«, sagte Ramon, »vielleicht könnte ich ihn ja nehmen — ich meine, wenn Sie ihn nicht wollen— wenn Sie ihn nicht nehmen können. Ich mag Hunde. Und da es Nikkis Hund ist ... wäre er was ganz Besonderes.«
Adrienne dachte darüber nach — etwa eine halbe Sekunde. »Also, das wäre ... einfach toll!« Ihr kam plötzlich der Gedanke, dass Ramon in ihre Schwester verschossen gewesen war.
»Nur... wenn Sie ihn noch ein oder vielleicht zwei Wochen behalten könnten?«, fragte Ramon. » Ich krieg einen neuen Mitbewohner, und ich muss das mit ihm klären. Ich meine, ich kann es zur Bedingung machen. Der Typ, der bei mir einziehen will, also, wenn er keine Hunde mag— dann muss ich mir eben jemand anders suchen.«
Adrienne nickte begeistert. »Natürlich! Zwei Wochen. Kein Problem.«
Ramon blickte erfreut. »Schön, das ist prima«, sagte er.
Sie schob Ramons Visitenkarte in ihre Handtasche und den Laptop in die dazugehörige Tragetasche, die auf dem Boden neben dem Schreibtisch lag. Dann hakte sie die Leine an Jacks Halsband ein, hängte sich die Computertasche über die Schulter und trat hinaus auf den Korridor. Gemeinsam fuhren sie und Ramon mit dem Lift nach unten in die Eingangshalle und gingen nach draußen.
»Soll ich ein Taxi rufen?«
Adrienne schüttelte den Kopf. »Ich geh vorher mit ihm Gassi.« Der Portier nickte, und sie gaben sich die Hand. »Also ... ich höre dann von Ihnen«, sagte er.
Sie lächelte, dann zerrte Jack an der Leine und riss sie zum Bordstein.
Ramon strahlte. »Ich bin Hundebesitzer«, sagte er zu niemand Bestimmtem. »Wer hätte das gedacht?«
8
S ie stand am Bahnsteig vom Metro Center in der Menschenmenge und wartete auf einen Zug der Red Line, um zum Cleveland Park zu fahren. Der Zug musste jeden Augenblick kommen. Adrienne wusste das, weil die gläsernen Signalscheiben an der Bahnsteigkante zu blinken anfingen, eine Stakkatolightshow, die sie durch die Beine der wartenden Passagiere hindurch sehen konnte.
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