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Gefaelschtes Gedaechtnis

Titel: Gefaelschtes Gedaechtnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John F. Case
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und neigte den Kopf, als überlege er, was er mit ihr machen sollte. Schließlich beugte er sich vor und sagte in vertraulichem Tonfall: »Sie kamen mir heute Nachmittag ein bisschen niedergeschlagen vor. Geht Ihnen die Sache mit Ihrer Schwester noch nicht aus dem Kopf?«
    Noch ...? Es war erst drei Wochen her. Und die Sache? Als wäre Nikki etwas Beschämendes, etwas, das man höflicherweise nicht erwähnte. »Tut mir Leid«, erwiderte Adrienne. »Ich war bloß ... etwas geistesabwesend.« Sie schüttelte den Kopf. »Wird nicht wieder vorkommen.«
    Sein Gesicht nahm einen demonstrativ besorgten Ausdruck an. »Falls Sie ein paar Tage Urlaub brauchen ... Ich meine, ich hab bemerkt, dass Sie gestern Nachmittag nicht im Büro waren.«
    »Ich —«
    Er hob eine Hand. »Schon gut. Ich will nicht neugierig sein. Aber falls Sie ein bisschen Zeit brauchen ...?«
    Adrienne schüttelte impulsiv den Kopf.
    »Na, falls doch, sagen Sie mir einfach Bescheid.« Er tätschelte ihr leicht den Arm.
    Ein bisschen Zeit? Oje, dachte Adrienne, also daher weht der Wind. Mit einem leisen Seufzer biss sie sich kurz auf die Unterlippe und lächelte ihn dann an. Leicht gerunzelte Stirn. Herzliches Lächeln. Aufrichtiges Lächeln, oft geübt, während sie »unter Obhut« stand. Nikki hatte sich oft über dieses ehrliche, großäugige Lächeln lustig gemacht, das sie in kritischen Augenblicken aufsetzen konnte. »Aha, das kleine Waisenmädchen ist wieder da«, sagte sie dann, »mit dem bitte-bitte-adoptiert-mich-Lächeln.« Nur diesmal suggerierte das Lächeln: Verzeihen Sie mir.
    »Ich war in letzter Zeit ein wenig abgelenkt«, sagte sie. »Sie wissen schon, Nikki ...« Sie sah ihre Hände an und wieder zu Curtis Slough auf. »Sie war ... hmmm ... meine letzte lebende Angehörige.« Dann, als hätte sie schon zu viel gesagt, fügte sie hastig hinzu: »Nicht, dass wir uns sehr nahe gestanden hätten —«
    »Sie haben sonst keine Familie!?«, fragte Slough. »Keine Eltern!?« Er hatte die Augen aufgerissen, und sein Ton suggerierte, dass er ihre Situation nicht nur traurig, sondern auch grotesk fand.
    Sie zuckte die Achseln. »Nein. Es gibt nur mich. Ende der Fahnenstange. «
    »Großer Gott«, stieß er hervor.
    »Ja, genau«, sagte sie in völlig ernstem Ton, »nach ihm kommt auch nicht mehr viel.«
    Slough kapierte nicht gleich. Er brauchte einen Moment. Dann warf er den Kopf mit einem gut einstudierten Lachen nach hinten und drohte ihr spielerisch mit dem Finger. »Da haben wir wieder Ihre berühmte Geistesgegenwart. Ich kann nur sagen: Mehr davon. «
    Es war Viertel nach elf, als sie endlich nach Hause kam, weil sie noch zwanzig Minuten auf den Bus hatte warten müssen, und sie war zum Umfallen müde.
    Der Eingang zu ihrer Souterrainwohnung befand sich auf der Rückseite eines Reihenhauses und war nur durch die Garage zu erreichen. Um dorthin zu gelangen, musste sie durch ein schmales Sträßchen hinter den Häusern, was ihr tagsüber oder wenn sie mit dem Auto kam und die Garage per Fernbedienung automatisch öffnen konnte, ohne aussteigen zu müssen, nichts ausmachte. Aber sie fuhr fast nie mit dem Auto zur Arbeit — das kostete sie zwölf Dollar Parkgebühren am Tag. Und sie kam nur selten noch im Hellen nach Hause, höchstens hin und wieder mal im Sommer. Also musste sie fast täglich durch diese dunkle Gasse.
    Und das machte ihr Angst, weil das Haus in der Mitte der Häuserzeile und somit auf halber Höhe der Gasse stand. Sie sah sich immer erst gründlich um, bevor sie einbog. Wenn sie irgendwelche Stadtstreicher dort herumlungern sah, was manchmal vorkam, ging sie zur Vordertür und klingelte bei Mrs. Spears, die sie dann durch die Kellertür im Haus in die Wohnung ließ. Aber sie tat es nicht gern. Die Hälfte der Zeit schlief ihre Vermieterin nämlich schon.
    Diesmal jedoch war niemand in der Gasse. Zumindest sah sie niemanden. Die einzige Bewegung, die sie wahrnahm, rührte von einer Katze her, die behände über einen Gartenzaun sprang. Sie ging durch das Garagentor, durchquerte den kleinen Garten und schloss die Tür zu ihrer Wohnung auf.
    Es war eine hässliche braune Tür — eine »Sicherheitstür« —, die Mrs. Spears mit einem Bauerngebinde hatte »verschönern« wollen. Adrienne fand das Gebinde sogar noch hässlicher als die Tür. Es bestand aus einem Kranz aus Gingham mit geflochtenen Zweigen in Form eines Vogelnestes mit Eiern aus Pappmache darin. Sie hätte es verbrannt, wenn sie den Mut dazu gehabt hätte, aber sie

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