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Gefahrliches Vermachtnis

Gefahrliches Vermachtnis

Titel: Gefahrliches Vermachtnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richards Emilie
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Nacht bei mir zu behalten“, beendete sie ihren Satz wenig überzeugend.
    Henry ging zu seiner Enkelin. „Was machst du denn da?“
    „Ich zeichne.“ Sie sah ihn nicht an.
    Er nahm ihr das Papier weg und betrachtete es. Dann warf er es auf den Tisch zurück. „Was findest du so interessant an diesem Kind?“, fragte er Aurore.
    „Henry!“ Aurore ging zur Tür und öffnete sie. „Lass uns draußen reden.“
    „Versuchst du, sie nach deinen Vorstellungen zu formen?“
    „Ich bin bald zu Hause. Dann können wir reden.“
    „Ich weiß, warum du jetzt nicht reden willst. Ich bin nicht blöd.“
    „Ich möchte nicht reden, weil unsere Enkelin hier ist.“ Aurore warf einen Blick auf Dawn. Das kleine Mädchen wirkte irritiert.
    Henrys Lächeln beunruhigte Aurore. „Dann lass uns doch spazieren gehen, statt zu reden.“ Er sah auf seine Enkelin herab. „Komm, Schatz, wir sehen uns den Fluss an.“
    Das schien Dawn noch mehr zu verwirren. Henry lockte sie zwar mit ihrer Lieblingsbeschäftigung, aber sie spürte, dass irgendetwas nicht stimmte. „Ich möchte lieber hierbleiben“, sagte sie.
    „Möchtest du dir keine Schiffe ansehen? Vielleicht liegt gerade ein ganz großes Schiff in der Werft.“
    Aurore sah, wie es in ihrer Enkelin arbeitete. „Henry, warum gehst du nicht einfach alleine spazieren? Und danach treffen wir uns zu Hause. Peli kann Dawn zu ihren Eltern bringen.“
    „Was meinst du, Dawn?“, fragte Henry und breitete seine Arme aus. Dawn ging zu ihm. Draußen erklangen Nebelhörner. Dawn wirkte immer noch misstrauisch, war aber unfähig, der Versuchung zu widerstehen. Er hob sie hoch. „Kommst du auch?“, fragte er Aurore.
    „Das ist keine gute Idee.“
    „Kann ein Großvater nicht mal mit seinem Enkelkind spazieren gehen?“
    „Ich will Schiffe gucken“, krähte Dawn. „Kommst du, Grandmère? “
    Aurore wusste nicht, was sie tun sollte. Henry war fast siebzig, aber immer noch stärker als sie. Sie hätte ihm Dawn nicht aus den Armen nehmen können, ohne ihr dabei wehzutun. Und es gab niemanden, den sie anrufen und um Hilfebitten konnte. Es war schon spät und in dem Gebäude war außer ihnen niemand mehr. „Ich hole meinen Mantel“, sagte sie. „Dawn muss auch etwas überziehen. Lass sie runter, damit ich ihr beim Anziehen helfen kann.“
    Doch er setzte das kleine Mädchen nicht ab. Stattdessen nahm er ihren Mantel vom Stuhl und legte ihn ihr um. Aurore blieb keine andere Wahl mehr, als in ihren eigenen Mantel zu schlüpfen und einen Schal umzubinden.
    Die Nachtluft war kühl. Aurore fröstelte. Nebelschwaden waberten durch die Gassen am Flussufer. Die Gegend wirkte einsam und verlassen.
    „Ich will ein Schiff sehen“, sagte Dawn.
    „Machen wir“, versprach Henry.
    „Es sind keine Schiffe in der Nähe“, erwiderte Aurore. „Die meisten Werften sind geschlossen und es ist kalt. Vielleicht sollten wir lieber bis morgen warten. Dann scheint die Sonne und ich trage keine hohen Absätze.“
    Henry ignorierte sie. Er lenkte seine Schritte zum Werftgelände hinunter. Ab und zu kam ein Auto vorbei, aber die Straße, die normalerweise voller Leben war, wirkte in dieser Nacht fast wie ausgestorben.
    Im vorigen Jahrhundert war die Bienville-Street-Werft eine Abladestelle für Zucker gewesen, nun standen hier moderne Stahlhütten. Von der alten amerikanischen Zuckerraffinerie war nur noch das Skelett übrig geblieben. Es war still und unheimlich.
    „Hast du schon mal von der Louisiana gehört? Sie war einst ein Schiff der Morgan Line“, wandte Henry sich an seine Enkelin.
    Aurore lief eine Gänsehaut über den Rücken. Henrys Stimme klang weich, und die Frage, die er seiner Enkelin gestellt hatte, könnte jeder Großvater seinem Enkel gestellt haben. Dennoch fühlte sich jedes Wort an wie eine Bedrohung.
    Dawn strahlte ihn an. „Nein!“, sagte sie aufgeregt.
    „Das war ein großes Schiff, ein schönes Schiff. Sie ging dahinten unter.“ Er zeigte auf den Fluss.
    „Wo ist sie hingegangen?“
    „Sie ging auf Grund. Der Fluss ist tief. Manche sagen, dass er mehr als hundert Meter tief ist. So hoch ist kein Haus der Stadt.“
    „Oh.“ Dawn wirkte beeindruckt.
    „Danach versuchte man, das Schiff zu bergen. Man hatte es schon fast geschafft. Da riss in letzter Minute die Winde und das Schiff verschwand im Kanal. Der Fluss gibt seine Toten nicht mehr her, Dawn.“
    „Henry!“ Aurore packte seinen Arm, aber er schüttelte sie ab. „Es wurde niemand getötet, als die Louisiana

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