Gefahrliches Vermachtnis
und ins Wasser getunkt. Mein Daddy war Prediger und meine Mom hat jeden Sonntagmorgen Orgel gespielt. Ich habe jeden Sommer eine Bibel mit meinem Namen in Goldprägung gewonnen, weil ich die meisten Sünder mit zur Bibelschule brachte.“
„Warum arbeitest du dann mit einem Priester?“
„Um etwas über wahre Religion zu erfahren.“
Dawn war klar, dass er nicht über Bekehrung sprach, sondern über etwas sehr viel Elementareres. „Mein Onkel ist der beste Mann, den ich kenne.“
„Ja. Achte mal drauf, wie viele Männer in den nächsten Monaten so werden wie er.“ Er hob die Hand zum Gruß und lief die Treppe, zwei Stufen auf einmal nehmend, hinunter.
„Warum fühlst du dich anders als vorher? Was hat dich verändert?“, rief sie ihm hinterher.
Er grinste. „Ich bin erwachsen geworden.“
Später fragte sie sich, ob er ihr vielleicht etwas Wichtiges hatte mitteilen wollen, aber sie hatte nur mitbekommen, dass er sie für ein Kind hielt. Den Rest des Nachmittags zog sie eine Flunsch und verzog sich beleidigt in ihr Zimmer.
Dawn fühlte sich immer mehr zwischen zwei Welten hin- und hergerissen. Die eine, relativ kleine Welt ihrer Kindheit war ihr vertraut und die andere schien voller ungeahnter Möglichkeiten. Wenn ihr Onkel ihr nicht die Augen geöffnet hätte, wäre es vielleicht leichter gewesen, sich einfach treiben zu lassen. IhreFreunde waren total zufrieden mit den Plänen, die ihre Eltern mit ihnen hatten, und manchmal war auch Dawn froh darüber. Doch dann fühlte sie sich auch wieder gleichzeitig einbezogen und ausgeschlossen.
Sie war anders als ihre Klassenkameraden. Sie wusste, dass die Welt hinter den sicheren Grenzen ihrer Privilegien ein ganz anderer, sehr unheimlicher Ort war. Dawn beschloss, ihre Gefühle für sich zu behalten und mit offenen Augen durch die Welt zu gehen.
Doch die Augen offen zu halten, bedeutete auch, sich dessen bewusst zu sein, was in ihrem Umfeld vor sich ging. Die Versammlung in der Kirche hatte sie für das Thema einer gemeinsamen Schule für schwarze und weiße Kinder sensibilisiert. Die Schulbehörde hatte entschieden, dass als Erstes zwei Schulen im neunten Bezirk mit der Abschaffung der Rassentrennung beginnen würden. Der Aufschrei war laut und heftig gewesen. Und je näher die Zeit des ersten Schultags der Kinder rückte, desto extremer wuchs die Anspannung.
Hugh besuchte Cappy an dem Tag, als die Staatsverwaltung im Namen des Staatsrechts eine Petition gegen die Integration schwarzer Schüler einreichte. Dawn hatte ihren Onkel noch nie so wütend erlebt. Nicht einmal an dem Tag, als ihn die Männer mit dem Gewehr aufgehalten hatten.
Von ihrem Platz auf den Treppenstufen konnte sie den Streit zwischen Hugh und ihrer Mutter mit anhören. Sie war sicher, dass das auch der Gärtner konnte.
„Erzähl mir nicht, dass du mit Ferris einer Meinung bist, Cappy! Du musst seinen Fanatismus nicht schlucken wie eine Praline.“
Dawn hörte ein leises Klirren und ahnte, dass ihre Mutter sich einen Drink eingegossen hatte. Als ihre Mutter sprach, hatte ihre Stimme den Tonfall, der in Dawn immer den Wunsch auslöste, die Sachen zu packen und wieder ins Haus ihrer Großmutter zu ziehen.
„Wenn ich Ferris zustimme, dann, weil ich ihm eben nunmal zustimme. Das Einzige, was ich schlucke, ist Scotch – und das auch nur, weil du so einen Wirbel machst!“
„Und du findest es schrecklich, wenn jemand Wirbel macht?“
„Ich muss mir das nicht anhören.“
„Jemand muss Ferris die Stirn bieten! Wenn du es nicht kannst, wer dann? Weißt du, was er heute zur Verteidigung dieser Petition gesagt hat? Dass jeder weiße Vater in New Orleans mit dem Gewehr vor dem Klassenzimmer stehen müsste, wenn schwarze Jungs zusammen mit weißen Mädchen zur Schule gehen würden! Er sagt diese Dinge, um weiterzukommen. Glaubst du wirklich, es interessiert ihn, wer mit wem zur öffentlichen Schule geht? Nicht solange seine Tochter eine teure weiße Privatschule in Saint Charles besuchen kann.“
„Welch eine Meinung eines Priesters über eine katholische Schule.“
„Im Moment liegt es in Ferris’ Interesse, ein Fanatiker zu sein, denn er ist nur noch einen Schritt vom Gemeinderat entfernt. Er soll nächste Woche sogar auf der Kundgebung sprechen.“
„Ferris macht nur seinen Job.“
„Und das heißt was? Sorgt er dafür, dass dieser Staat sich juristisch endlich aus dem Mittelalter hinausbewegt? Setzt er sich für irgendetwas ein, wovon die Armen profitieren
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