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Gefahrliches Vermachtnis

Gefahrliches Vermachtnis

Titel: Gefahrliches Vermachtnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richards Emilie
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schon mal eine Kleinbildkamera benutzt?“, fragte er. Ein Gefühl der Resignation durchströmte sie, als sie die Frage verneinte. Der Augenblick war für ihn offensichtlich weniger aufregend als für sie. Sie spürte den Altersunterschied, der sie voneinander trennte, und sie versuchte, sich die Szene aus seiner Sicht vorzustellen. Er war schon ein Mann und sie nur eine Oberschülerin, deren Kamerakenntnisse und das Leben ganz allgemein noch sehr oberflächlich waren.
    „Ich lerne schnell.“ Dawn reckte das Kinn. „Zeig mir einfach das Wichtigste.“
    Das tat er, fünf quälend komplizierte Minuten lang. Je mehr sie sich konzentrierte, umso schwieriger schien alles. Wenn es je einen gewissen Charme gehabt hatte, Fotos mit ihrer Brownie zu schießen, so war dieser Charme nun gänzlich verflogen. Fotografieren bedeutete Arbeit, und ihre Chancen, alles richtig zu machen – Belichtung, Blende, Schärfe –, gingen gegen null.
    „Du wirst das schon machen.“ Ben reichte ihr die Kamera. „Entspann dich einfach und genieß es.“
    „Wie wichtig sind diese Fotos?“
    „Ich glaube, dein Onkel wollte einfach, dass du dabei bist.“
    Sie fühlte sich veräppelt, als ob er ihr gesagt hätte, dass es auf sie sowieso nicht ankam. „Was, wenn ich zufällig ein gutes Bild schieße?“
    Er sah sie beinahe schuldbewusst an. „Tut mir leid, ich hab es nicht so gemeint.“
    „Was denn?“
    „Ich werde die Bilder benutzen. Ich arbeite an einem Artikel über die Rassentrennung in Louisiana. Freischaffend. Ich werde sie mit meinem Text zusammen einsenden, wenn sie gut genug sind.“
    „Gut. Dann plan schon mal ein bisschen Platz dafür ein.“ Er grinste. „Du hast etwas von Pater Hugh, weißt du das?“
    „Nein. Ich habe nichts von niemandem.“ Sie sah ihm direkt in die Augen, obwohl sie genau das ziemlich viel Mut kostete.
    „Ich bin ich. Und das ist mehr als genug.“ Sie nahm ihm die Kamera aus der Hand und presste sie an die Brust.
    „Okay, einzigartige Dawn Gerritsen, dann lass uns mal loslegen!“
    Ohne ein weiteres Wort mit ihm zu wechseln oder ihn anzusehen, folgte sie den Massen in die Kirche.

25. KAPITEL
    V on den ungefähr zwei Dutzend Fotos, die Dawn an jenem Tag gemacht hatte, waren ein Dutzend schlecht belichtet oder unscharf und fünf bemerkenswert. Ihr Lieblingsfoto zeigte ein kleines Kind, das an der Schulter seiner Mutter schlief. Der goldene Ohrring der Mutter berührte die Babyspeckwange des Mädchens, während es seinen Kinderträumen nachhing. Im Hintergrund sang ein Gospelchor von den Träumen der Erwachsenen.
    Ben behauptete, das Foto sei ihm zu kitschig, und lehnte ab, es zu verwenden. Ein anderes gefiel ihm besser. Es zeigte ihren Onkel, der Hand in Hand mit dem schwarzen Priester der Kirche die Messe abhielt. Dawn hatte die beiden Männer mit dem identischen Gesichtsausdruck des gegenseitigen Respekts und geteilter Sorge erwischt. Niemandem in der Kirche war im Hinblick auf das Ergebnis etwas vorgemacht worden. Der Weg, der vor ihnen lag, war steinig. Und nicht jeder der Anwesenden würde lange genug leben, um das Ziel zu erreichen.
    Dawn sah Ben an dem Tag wieder, als er kam, um ihr die Fotos zu zeigen. Und dann sah sie ihn noch einmal wieder, als er ihr Johannisbeermarmelade von Beulah Narrows vorbeibrachte. Dawn war gerade aus der Schule nach Hause gekommen. Sie fühlte sich in ihrer Uniform mit Rock und Söckchen wie eine Zehnjährige.
    Ben wollte nicht mit hineinkommen. Er blieb auf der Veranda stehen und lehnte sich gegen eine Säule. Die Ärmel seines blauen Hemdes waren hochgekrempelt; auf seinen gebräunten Unterarmen schimmerten feine Härchen. Auf solche Details hatte sie vorher bei anderen Jungen noch nie geachtet, aber an Ben erschien ihr alles einzigartig und überwältigend.
    „Ich erinnere mich noch an meine Schulzeit“, sagte er.
    „Es ist keine so große Leistung, sich an die paar Jahre zurückzuerinnern“, erwiderte Dawn sarkastisch. „Du bist ja noch kein alter Mann.“
    „Ich fühle mich aber manchmal uralt, wenn ich sehe, was in meiner Heimatstadt vor sich geht.“
    „Was hat sich denn verändert? Bonne Chance war doch immer schon so, wie es ist.“
    „Ich habe mich verändert. Ich bin nicht mehr blind. Ich war blind, aber jetzt kann ich sehen.“ Er lächelte über den verwirrten Ausdruck auf ihrem Gesicht. „Das stammt aus einer guten alten Südstaaten-Hymne, die ihr Katholiken wohl verpasst habt.“
    „Du bist nicht katholisch?“
    „Nö, Baptist, geboren

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