Gefahrliches Vermachtnis
zusammengehalten wurde. Die Kirche neben dem Parkplatz sah genauso desolat aus.
Dawn war überrascht, das Auto ihres Onkels nirgendwo zu sehen, und fragte sich, ob er zu einem Notfall in der Gemeinde gefahren war.
Gerade als sie sich auf der verwitterten Bank unter den beiden Eichen niederlassen wollte, um auf Hugh zu warten, wurde die Tür von innen geöffnet. Sie wirbelte herum, um ihrem Onkel in die Arme zu fallen. Doch dann erstarrte sie. „Ben? Ben Townsend?“
Er lehnte lässig in Jeans und T-Shirt im Türrahmen. „Dawn Gerritsen.“
„Ich wusste nicht, dass du hier bist. Onkel Hugh hat nichts davon gesagt.“
„Ich habe ihn darum gebeten, dich überraschen zu dürfen.“
„Na, das ist dir gelungen!“
„Du überraschst mich aber auch.“
Sie sah in seinen Augen, dass er insgeheim alle Veränderungen an ihr registrierte. In seinem Blick lag Bewunderung. „Was führt dich hierher?“, fragte sie. „Bist du immer noch beim Globe? “
„Nicht mehr. Ich ziehe im Herbst nach San Francisco, um für ein neues Magazin zu arbeiten.“
„Dann werden wir ja Nachbarn!“
„Ich weiß. Daran habe ich auch gedacht.“
Drei Jahre lang hatte Dawn nichts von Ben gehört – drei Jahre voller Erfahrungen. Sie hatte gelegentlich an ihn gedacht. Sie hatte versucht, ihn in den Männern, mit denen sie ausging, wiederzufinden, vor allem in den wenigen, mit denen sie schlief. Doch ihr war klar, dass sie den neuen Ben Townsend nicht kannte. Vielleicht hatte sie nicht einmal den alten gekannt.
„Dein Onkel ist bald zurück“, versprach er. „Komm rein.“ Ben hielt ihr die Tür auf. Sie ging an ihm vorbei und streifte ihn dabei unabsichtlich. Das Pfarrhaus war sauber, aber noch heruntergekommener als in ihrer Erinnerung.
„Bist du nur zu Besuch?“, wollte sie wissen, als sie sich im Wohnzimmer gegenüberstanden.
„Ich werde den ganzen Sommer hier verbringen.“
„Ich auch.“ Sie freute sich noch einmal mehr über diese Entscheidung. „Meine Familie lebt hier. Aber aus welchem Grund bist du zurückgekommen? Die meisten Leute versuchen, im Sommer nicht in Louisiana zu sein.“
„Weißt du, was hier unten los ist?“
„Nur ansatzweise. Ich war seit der Highschool nicht mehr zu Hause.“
„Viele Schwarze im Parish brauchen Hilfe. Und es wird Zeit, dass man sie unterstützt.“
Sie beobachtete, wie er sie musterte, und fragte sich, wonach er suchte. „Bist du wirklich hier, um Dinge zu verändern?“ Er antwortete nicht. „Dann habe ich Angst um dich.“
„Wusstest du, dass Perez unten in den Sümpfen ein Lager gebaut hat? Für den Fall, dass irgendwelche Bürgerrechtler hierherkommen.“
„Du machst Witze.“
„Nein. Er hat es vor ein paar Wochen der Welt präsentiert.“
„Aber das ist verrückt.“
„Gibt es an diesem Ort etwas, das nicht verrückt ist?“
„Ach, komm schon, Ben! Hier leben auch gute Menschen, genau wie anderswo. Es ist bloß so, dass keiner von denen an der Macht ist.“
„Wusstest du, dass der Kongress versucht, ein Wahlberechtigungsgesetz zu erlassen?“
Dawn war verunsichert. Ben schien sie nicht für besonders intelligent zu halten. „In Kalifornien gibt es Zeitungen und Fernsehen. Und du wärst überrascht, wie oft es sogar Nachrichten von Washington bis zu uns schaffen.“
Er lächelte entschuldigend. „Für die Schwarzen aus dieser Gemeinde wird es Zeit, sich als Wähler registrieren zu lassen. Falls man sie daran hindert – und so wird es kommen –, haben wir den Beweis, dass die Bundesregierung einschreiten muss.“
„Aber reichen die Listen denn als Beweis nicht aus? Bis jetzt können sich noch nicht viele Schwarze eingeschrieben haben.“
„Neunundsiebzig von sechstausend potenziellen schwarzen Wählern. Aber wir müssen beweisen, dass auch die anderen versucht haben sich einzuschreiben und man sie nicht ließ.“
Dawn fühlte sich wie an dem Tag, als sie sich an der schwarzen Highschool einschreiben lassen wollte. Der Süden hatte einige Krisen durchgemacht, während sie in Kalifornien gewesen war. In Mississippi hatte es Krawalle und sogar Tote gegeben. In der Kirche in Birmingham waren vier kleine Mädchen gestorben, und in Washington waren schwarze und weiße Bürger zusammengekommen, um Martin Luther King zu hören. Dawn hatteall das aus sicherer Entfernung verfolgt, während all diese Ereignisse das Gesicht der gesamten Region veränderten. Aber nun war sie wieder zu Hause und steckte wieder einmal mitten im Geschehen.
„Was ist mit
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