Gefahrliches Vermachtnis
Arroganz. Er posierte für sie, aber er lächelte nicht. Für ihn war es ganz normal, fotografiert zu werden.
„Du wirst nicht gerade als Freund der Bürgerrechtsbewegung in die Geschichte eingehen“, sagte sie zu ihm, als sie mit den Fotos fertig war.
„Das stimmt. Ich werde nicht als ein Mann in die Geschichte eingehen, der etwas unterstützt hat, woran er nicht glaubt.“
Sie rechnete ihm seine Ehrlichkeit hoch an. Seine Werte waren schon immer sehr konservativ gewesen. Er glaubte an die Staatsmacht, und er repräsentierte Tausende von Menschen, die an dasselbe glaubten wie er. Er war ein besserer Repräsentant ihrer Werte als manch einer seiner Kollegen.
Aber war er ein Rassist? In seiner Wut, von einer toten Frau und ihren Wünschen in die Falle gelockt worden zu sein, hatte er sich wie einer benommen. Doch Dawn glaubte, dass ihrem Vater die Leidenschaft eines echten Rassisten fehlte. Er sehnte sich nach den schwarzen Dienern aus seiner Kindheit. Sogarjetzt noch bezahlte er das Altersheim für einen von ihnen, obwohl die Familie ihm längst nichts mehr schuldete. Und er fühlte sich seinen schwarzen Mitbürgern verpflichtet. Er wollte, dass ihre Schulen gut waren und ihre Geschäfte blühten. Er war zwar der Überzeugung, dass eine Gleichbehandlung bei beibehaltener Rassentrennung ausreichend war, ermahnte die Bürger aber trotzdem, sich an die neuen Gleichstellungsgesetze zu halten. Dawn erschien dieser Augenblick mit ihrem Vater zu wichtig, um ihn zu verderben. Warum auch? Wie sollte Dawn eine Haltung ändern, geformt von jahrzehntelanger Erfahrung und Propaganda – eine Haltung, die sie selbst nie würde nachvollziehen können?
„Was meinst du mit: ‚Es steckt mehr dahinter, als ich ahne‘?“
Er blieb stehen, um ein Stück Holz aufzuheben. Sie schoss weitere Fotos von ihm. Wenn sie gut waren, würde sie dieses Bild behalten, anstatt es ihm für eine seiner Kampagnen zu überlassen.
Er rieb mit dem Daumen über das Holz, während sie am Strand entlanggingen. „Ich habe dir nie erzählt, dass ich Nicky Valentine vor Jahren im Krieg schon einmal begegnet bin. Phillip war damals noch ein kleiner Junge. Sie sang in einem Klub in Casablanca, wohin sie vor der Besetzung in Paris geflohen war.“
„Casablanca? Wo Sam immer dieselbe Nummer am Klavier spielt?“
„Sei nicht albern, Liebes!“ Er schleuderte das Holzstück in die Wellen.
Dawn vermied es, ihm ihre Blicke folgen zu lassen. „Was hast du dort gemacht?“
„Ich war auf der Augusta, als die Alliierten die marokkanische Küste einnahmen. Und später, als die französischen Truppen sich ergaben, war ich in der Stadt.“
„Das wusste ich nicht.“
„Ich war nie einer, der Kriegsgeschichten erzählte. Da gab es nicht viel mehr als das Töten und das Warten darauf, selbst getötetzu werden. Daran erinnert man sich nicht gerne.“
Sie war von seiner Freimütigkeit beeindruckt. Diese Zurückhaltung, über besondere Ereignisse zu sprechen, war sie von ihrem Vater nicht gewöhnt. Es passte auch nicht zu seinem politischen Image als dekorierter Kriegsheld und Patriot. „Und du hast Nicky kennengelernt?“
„Ja. Wie die Hälfte fast aller Amerikaner in der Stadt.“
Sie blieb stehen. „Was willst du damit sagen?“
„Nicky war eine alleinstehende Frau mit Kind. Sie war hellhäutig genug, um hierher zurückzukommen und sich aussuchen zu können, welcher Rasse sie angehören will. Sie suchte nach einem Mann mit weichem Herz und Helfersyndrom …“ Mehr sagte er nicht.
Dawn schüttelte den Kopf. „Das kling absurd. Nicky hat einen dunkelhäutigen Sohn. Willst du damit andeuten, dass sie vorhatte, ihn zu verlassen?“
„Sie hätte ihn in Europa lassen können. Niemand hätte davon erfahren.“
Sie setzten ihren Strandspaziergang fort. „Ich vermute mal, dass es inzwischen nicht mehr wichtig ist, ob du mit deinen Vermutungen über ihre Absichten recht hattest oder nicht.“
„Damals war es wichtig. Sie war hinter jemandem her, der mir sehr nahestand und der schwach genug war, sich zu ihr hingezogen zu fühlen. Ich sagte ihr, dass ich sie durchschaue. Und ich sagte ihr, dass ich sie nicht decken würde.“
Dawn konnte sich diese Szene gut vorstellen. Der Gedanke verursachte ihr ein leichtes Unbehagen. „Wer war es?“
„Das kann ich nicht sagen. Vermutlich will ich immer noch seinen Ruf schützen. Aber er verließ das Land, nachdem ich Nicky zur Rede gestellt hatte, und sie denkt, dass ich dafür verantwortlich bin. Sie hat
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