Gefahrliches Vermachtnis
darauf.“
„Zwischen uns ist nichts“, konterte Dawn. „Du hast mich einmal als Mörderin bezeichnet.“
„Willst du jetzt wirklich darüber sprechen?“, fragte Ben.
Dawn warf einen Blick auf Nicky, die ihre Unterhaltung still mitverfolgte. „Es tut mir leid, Mrs Reynolds“, sagte sie. „Es kommt Ihnen sicher verrückt vor und hat scheinbar nichts mit Ihnen und Ihrer Familie zu tun.“
„Ich glaube, Sie und Ben brauchen etwas Zeit, um Ihre Gemüter abzukühlen, denken Sie nicht?“
Nicky mochte vielleicht eine Fremde für die Gerritsens sein, aber sie übernahm die Führung. Wie Ben bemerkte, nickte Dawn, bevor sie sich an ihn wandte. „Du schaffst doch so gerne Fakten. Sag Spencer bitte, dass ich einen Spaziergang mache, ja? Ich wäre ungern gezwungen, die Schlüssel zurückzugeben.“
Die garconnière war eine Junggesellenwohnung. Sie lag in einem der wenigen ursprünglich gebauten Außengebäude auf dem Grundstück der Familie Gerritsen. Die Wohnung hatte einmal Pelicheres Großonkel gehört. Dawn war nicht völlig sicher, ob die Geschichte, dass man dort einmal vor einem Hurrikan Schutz gesucht hatte, stimmte oder ob sie eine Erfindung war, die sich über die Jahre weiterverbreitet hatte. Aber sie wusste, dass ihre Großmutter das Gelände in den Zwanzigerjahren erworben hatte.
Als Dawn ein Kind war, war das Spielen und Betreten der meisten Außengebäude verboten gewesen. Manche davon hatte man ihretwegen sogar abgerissen. Die garconnière war Pfusch, eine Mischung aus Matsch und spanischem Moos, die man zwischen Zypressenholz gepresst hatte. Einem alten Cajun-Brauch entsprechend, wohnten die Junggesellen bis zu ihrer Hochzeit in einer garconnière. Es handelte sich üblicherweise um ein Dachgeschoss, das man über eine Treppe erreichen konnte.
Die garconnière lag im hintersten Winkel des Grundstücks.Vielleicht weil der Architekt mit vielen rauflustigen Söhnen gesegnet gewesen war und seine Frau ihn darum gebeten hatte, sie so weit wie möglich vom Haupthaus entfernt unterzubringen.
Dawn war es trotz aller Verbote immer gelungen, dort zu spielen. In den Schränken hatte sie altmodische Landarbeiterkleider, Fotografien und andere bewundernswerte Dinge gefunden. Die Fotos zeigten Dawn, wie wichtig es war, winzige Stückchen eines Lebens aufzubewahren und für immer zu konservieren.
Sie war seit Jahren nicht mehr in diesem inzwischen von wildem Wein umrankten Haus gewesen. Die Erinnerungen ihrer Kindheit drohten sie zu überwältigen.
Seitdem sie die Schlüssel bekommen hatte, war Ruhe eingekehrt, so als ob sie alle miteinander darin übereinstimmten, dass der Friede nur durch Stille bewahrt werden konnte. Nach ihrem Spaziergang zog sich Dawn in ihr Zimmer zurück, starrte auf die Bucht und erinnerte sich an den Tag, an dem ihr Onkel versucht hatte, ihr das Schwimmen beizubringen. Sie hatte in seinen Armen über die eigene Feigheit geweint. Am nächsten Tag, einem sehr seltenen und wunderbaren Tag, hatte ihre Mutter sie mit einem Frühstückspicknick geweckt, und alles, was zwischen ihnen falsch gelaufen war, war an diesem Morgen nicht mehr da gewesen.
Irgendwann am Mittag erinnerte sich Dawn wieder an die garconnière. Möglicherweise hatte man das Schloss nie ausgetauscht, weil das Gebäude versteckt lag und nicht mit Vandalismus zu rechnen war.
Es war schon vier, als sie sich dazu aufraffte, Ben zu suchen, um ihn zu fragen, ob er sie bei ihren Nachforschungen begleiten wollte. Es fehlte ihr nicht an Mut, aber sie hatte keine Lust auf seine Gegenwart. Doch am Ende siegte die Neugier.
Anstelle von Ben, den sie nirgendwo fand, begegnete ihr Phillip auf der Veranda. Er war ein sehr gut aussehender Mann mit einem freundlichen Lächeln und dunklen Augen, denen nichts zu entgehen schien. Sie hatte seine Reportagen immerschon bewundert. Er verschwendete keine überflüssigen Worte und schrieb weder flach noch sentimental. Es war ihr Onkel, der sie mit Phillips Arbeit bekannt gemacht hatte.
Sie verschränkte die Arme vor der Brust und lehnte sich gegen eine Säule. „Ich könnte mir vorstellen, zu welchem Haus Bens Schlüssel passt. Es gibt da ein altes Gebäude auf dem Grundstück, die garconnière. “
„Und was ist mit Ihrem?“
„Vielleicht passt er zu irgendetwas dort drinnen.“
„Dann brauchen Sie Ben möglicherweise.“
„Kann sein, dass er mich auch braucht. Wer weiß, was ich mit meinem Schlüssel aufschließen kann?“ In diesem Moment entdeckte sie ihn in der Tür. „Ich
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