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Gefahrliches Vermachtnis

Gefahrliches Vermachtnis

Titel: Gefahrliches Vermachtnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richards Emilie
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begriffen?“
    „Was es bedeutet, ich zu sein. Was ich zu sagen habe. Was ich empfinde.“ Er schlug sich auf die Brust.
    Nicky hatte sich nie vor Gerard gefürchtet. Nicht einmal während seiner schlimmsten Launen hatte er die Hand gegen sie erhoben. Doch nun hatte sie zum ersten Mal Angst – allerdings nicht, weil sie befürchtete, er könnte sie schlagen. Aber Gerard war wirklich nicht mehr zurechnungsfähig.
    „Ich habe versucht, dich zu verstehen“, entgegnete sie in ruhigem Tonfall. „Aber niemand kann den anderen wirklich verstehen. Ich bin nicht du. Ich bin nur die Frau, die dich liebt.“
    „Liebe!“ Er stand auf und begann im Zimmer auf und ab zu laufen. „So etwas gibt es nicht. Es ist nur ein Wort, das man benutzt. Der weiße Meister liebte seine schwarzen Sklaven, liebte sie so sehr, dass er ihre Frauen nahm und Babys mit ihnen zeugte. Die Gegner der Sklaverei liebten ihre schwarzen Freunde auch, und zwar so sehr, dass sie sie freiließen, damit sie im Dreck herumwühlen konnten, bis der Dreck nichts mehr hergab. Dann steckten sie sie in die Städte, zwölf in einen Raum, ohne Job und ohne Hoffnung.“
    „Gerard. Wir sprechen nicht über Sklaverei. Wir sprechen über dich und mich.“
    „Du weißt nichts! Deine Haut ist nicht schwarz!“ Er packte sie am Arm. „Schau dich an! Du bist nichts! Du bist weder weiß noch schwarz! Nichts!“
    Sie entwand sich seinem Griff. „Dein Kind wird dunkler sein als ich und heller als du! Wird es das zu einem Nichts machen?“ Der Ärger übermannte sie. Sie hatte seine Beschimpfungen schon viel zu lange ertragen. Die Wut, die sie nun erfüllte, besaß eine reinigende Wirkung. „Wenn dein Kind ein Nichts ist, dann nur, weil sein Vater ein Nichts ist! Glücklicherweise funktionieren die Dinge aber anders. Es wird jemand sein, weil ich es dazu erziehen werde!“
    „Na und? Soll ich dir applaudieren?“
    „Ich möchte, dass du mir aus dem Weg gehst.“
    Sein Gesichtsausdruck wurde weicher. Er machte einen Schritt auf sie zu. „Du musst nicht gehen. Ich werde nur noch eine Woche hier sein, aber ich habe die Miete bis Ende des Monats bezahlt.“
    „Geh mir aus dem Weg, Gerard.“
    Er lächelte warmherzig, aber dieses Lächeln machte ihr mehr Angst als seine Anfälle. Dieser Gerard war aus der Asche des anderen Gerard auferstanden. Sie schloss die Augen, um sichseinen anderen Gesichtsausdruck vorzustellen. Das Gesicht eines Mannes, der langsam den Verstand verlor. Sie musste gehen, bevor ihr dasselbe passierte.
    Sie stieß ihn beiseite, als er versuchte, sie aufzuhalten. Im Schlafzimmer nahm sie ihren Koffer aus dem Schrank und ging zur Wohnungstür, wo er auf sie wartete.
    „Und was wirst du deinem Kind über mich erzählen?“, fragte er. Das war seine erste Reaktion auf die Nachricht, dass er Vater wurde. „Ich werde ihm alles Gute erzählen, an das ich mich erinnere.“
    „Sag ihm, dass es stark sein muss, wenn es überleben will.“
    „Das wird es in erster Linie von mir lernen.“
    „Dann sag ihm, dass sein Vater wollte, dass die Welt ihn versteht.“
    „Das sage ich ihm. Ich könnte ihm auch erklären, dass sein Vater vieles, das wirklich wichtig war, selbst nicht richtig verstanden hatte.“
    „Du verstehst mich nicht.“
    „Das ist ein Irrtum, Gerard.“ Sie öffnete die Tür. Er legte ihr zum Abschied die Hand auf die Schulter. Sie fühlte sich warm und tröstlich an, wie die Hand eines Farmers. Dann schloss sie die Tür hinter sich.
    Phillip Gerard Benedict wurde im Pariser Frühling geboren. Er war ein großes dünnes Baby und heulte in regelmäßigen Abständen wie Buddy Boldens Trompete in seinem berühmten „Funky Butt Blues“. Nicky war sicher, dass Haut- und Augenfarbe ihres Sohnes genauso dunkel werden würden wie bei seinem Vater. Ab dem Moment, an dem Phillip die Welt erfassen konnte, starrte er sie Trost suchend an. Er schien instinktiv zu spüren, dass das Leben für sie und ihn niemals leicht sein würde.
    Nicky hatte gefürchtet, dass ihre Verbitterung Einfluss auf die Liebe zu ihrem Sohn haben würde. Doch als sie ihn zum ersten Mal in den Armen hielt, wusste sie, dass ihre Angst unbegründetgewesen war.
    Clarence hatte im Les Américains Zigarren verteilt und dem Management versprochen, dass Nicky bald zurückkehren würde. Er half ihr, eine Babysitterin für Phillip zu finden. Nicky wusste, dass Clarence nie sehr sparsam gewesen war, und auch ihre Ersparnisse waren aufgebraucht, nachdem sie so lange nicht gearbeitet hatte.

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