Gefahrliches Vermachtnis
Sie wollte unbedingt wieder arbeiten, damit Clarence die Last, für sie alle zu sorgen, nicht alleine tragen musste.
Die Nacht, als sie in den Klub zurückkehrte, war eine fröhliche Nacht. Clarence war gut in Form. Nicky tanzte, sang und lächelte wie früher, aber ihre Begeisterung war verschwunden. Ihr Körper, der sich immer noch von der Geburt erholte, schmerzte beim Tanzen.
Die Nacht dauerte bis in den Morgen und die Musik wurde immer rauer und melancholischer. Die beiden Bobs waren gekommen, um sie zu begrüßen, und sie machte eine der wenigen Ausnahmen von der Regel, nie etwas mit Kunden zu trinken. Nicky saß am Tisch und wippte mit den Füßen.
Der Schnurrbart von Bob eins erzitterte bei jeder Bewegung. Er stritt sich mit Bob zwei über die Verdienste von Al Smith und Herbert Hoover, zwei austauschbaren Präsidentschaftskandidaten.
In einer Diskussionspause sagte sie: „Wie lange es wohl noch dauern wird, bis ein Schwarzer es bis ganz nach oben schafft?“
Bob eins lachte auf. „Das wird nie passieren! Du warst zu lange weg, Nicky.“
„Willst du damit andeuten, dass mein Sohn niemals Präsident werden kann?“
„Ich würde sagen, dass dein Sohn diese Chance niemals bekommen wird. Nicht in einer Million Jahren.“
„Dann muss ich wohl für immer hierbleiben. Vielleicht hält er sich dann für einen Franzosen.“
Die Antwort von Bob zwei ging im Lärm unter. Nicky hob den Kopf, entdeckte die Lärmquelle aber nicht. Dann bemerktesie, dass die Musik plötzlich aufgehört hatte und die Musiker sich um das Klavier scharten.
Sie erhob sich abrupt und rannte nach vorn.
Clarence lag auf dem Boden. Einer aus der Band stützte seinen Kopf, ein anderer löste Kragen und Krawatte. Nicky kniete neben Clarence und rang nach Luft. „Ruft einen Arzt!“
„Yernaux ist unterwegs, um einen Arzt zu holen“, sagte jemand.
„Was ist passiert?“
„Keine Ahnung. Er ist plötzlich umgefallen.“
„Clarence!“ Sie tätschelte seine Wangen. „Hörst du mich?“ Er drehte seinen Kopf ein wenig, bis er ihr in die Augen sehen konnte. Ein Lächeln huschte über sein Gesicht. Und dann war alles vorbei.
Monsieur Yernaux, der Eigentümer des Les Américains, bedauerte es, aber ohne Clarence gab es im Klub auch keine Arbeit mehr für Nicky. Er fand es an der Zeit, neuen Talenten eine Chance zu geben und den Namen des Klubs zu ändern, um mehr seiner Landsleute anzulocken.
Einige Monate später löste sich die Clarence Valentine Band auf.
In Clarence’ Humidor, seinem bevorzugten Geldversteck, fand Nicky einen fast unleserlichen Brief, der an sie adressiert war. Clarence wollte, dass sie alles bekam. Mit seiner Familie hatte er seit Jahren keinen Kontakt mehr gehabt; er wusste nicht einmal mehr, wo sie wohnte.
Das Geld würde für nächsten drei oder vier Monate reichen, die Diamant-Anstecknadel für weitere zwei. Außerdem fand Nicky das Foto einer schönen dunkeläugigen Frau, die Clarence nie erwähnt hatte; sie hatte vorsichtig „Mamie“ in eine Ecke geschrieben. Nicky legte es zurück in die Kiste, wo Clarence auch Locken von Phillip und ihr und seine liebsten Aufnahmen aufbewahrt hatte.
Einen Monat nach seinem Tod erwachte sie aus ihrer Trauer.Sie wusste, dass sie rasch etwas unternehmen musste, um ihren Sohn durchzubringen. Clarence hatte sie gewarnt. Sie sollte sehr vorsichtig sein, falls sie in die Vereinigten Staaten zurückkehren wollte. Clarence hatte fest daran geglaubt, dass er sie vor großem Schaden bewahrt hatte, als er sie nach Paris brachte. Sie sollte Nicky Valentine bleiben und nicht Nicolette Cantrelle. Egal, was sonst geschah.
Nicky wollte gar nicht nach Chicago zurückkehren. Das Geld hätte nicht für zwei Schiffstickets und eine Wohnung in den USA gereicht. Paris war ihr Zuhause und sie mochte die Franzosen. Sie brauchte lediglich einen Job.
Die Suche danach erwies sich jedoch als schwieriger, als sie es sich vorgestellt hatte. Die Klubbesitzer, die sie kannten, behaupteten, sie nicht zu brauchen. Nicky spürte, dass es nur Ausflüchte waren, weil sie immer noch als das lebendige Aushängeschild des Les Américains galt. Diejenigen, die Nicky nicht kannten, gaben ihr nicht einmal die Chance, sich vorzustellen. Die Welle der Sympathie für schwarze Amerikaner verebbte.
Das Geld verschwand, obwohl sie es mit der typischen Sparsamkeit einer Französin beisammenhielt. Sie bewarb sich für verschiedene Jobs und fand schließlich einen als Verkäuferin in einer Bäckerei. Aber das
Weitere Kostenlose Bücher