Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Gefallene Engel

Gefallene Engel

Titel: Gefallene Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunnar Staalesen
Vom Netzwerk:
kurzen Strümpfe gleich mit.
    Wieder drehte sie sich um, aber jetzt hatte der Rhythmus sie verlassen. Sie stand da, das Gesicht halb nach unten gerichtet, wie eine Jeanne d’Arc vor dem Tribunal: eine halbnackte Frau in den Dreißigern, in einem weißen BH mit Rüschen und einem schwarzen Seidenhöschen mit einer traditionellen Rosette vorne. Es war ein schmaler Körper mit kleinen Brüsten und schmalen Hüften, ein unglaublich mädchenhafter Körper.
    Jakob fragte etwas, und sie nickte.
    Während er mit der linken Hand weiterspielte, erhob er sich leicht und reichte ihr sein Glas. Sie trank es leer, schnitt automatisch eine Grimasse, stellte das Glas elegant ab, stand wieder auf und begann – während er die Melodie wiederfand – sich zu bewegen, wie bei einer Art Jazzballett in Zeitlupe, zwei Schritt vor, einen zur Seite. Zwei Schritt zurück und einen zur Seite. Dabei legte sie die Arme auf den Rücken und fummelte am Verschluß ihres BHs, bekam den Gesichtsausdruck einer frechen Straßengöre, zerrte sich den BH herunter, daß ihre Brüste vor unseren Augen tanzten, fuhr herum, zog ihr Höschen herunter, fuhr wieder herum – und wieder – und wieder, und ihr Dreieck wurde zu einem Geschwindigkeitsstreifen in der Mitte, und ging schließlich plötzlich in die Hocke, zog das Höschen wieder hoch, sammelte ihre Kleider auf und hielt sie vor sich, sprang mit einem Tigersatz vom Flügel und lief raus, begleitet von einem letzten, frenetischen Akkord von Jakob, einem Ausruf von Kari und einem halbstehenden Applaus von mir.
    Jakob stand auf und lief ihr nach, während Kari und ich uns wieder schwer auf das Sofa fallen ließen, uns an unsere Drinks klammerten und stumm in die Luft vor uns starrten. Es prickelte auf meiner Haut, und das Glas fühlte sich beruhigend kühl an.
    Zwei Minuten später steckte Jakob mit einem verschmitzten Blitzen in den Augen den Kopf durch den Türspalt herein. »Hähämmm. Wir – machen hier drinnen weiter.« Er hob lässig die Hand. »Das Sofa gehört euch …«
    »Ich weiß nicht …« sagte Kari.
    Aber er war schon wieder weg.
    »Ich auch nicht«, sagte ich.
    Ich stand auf und suchte eine Platte aus dem Stapel heraus. Die zufällige Wahl traf Leonard Cohen. Death of a Ladies’ Man. Das konnte nach mehr als einem Zufall aussehen. Bald schnarrte Cohens rauhe Stimme durch den Raum, und Kari sank neben mir tief ins Sofa ein.
    Nach einer Weile lehnte sie sich gegen mich und legte ihren Kopf an meine Schulter.
    Ich legte einen Arm um sie. »Du hast eine Tochter, hast du gesagt?«
    Sie nickte. »Mhm. Turid. Sie ist fünfzehn.«
    »Aber du bist nicht … Bist du geschieden?«
    Sie schüttelte den Kopf. »Ich bin Witwe. Mein Mann ist vor acht Jahren an einem Gehirntumor gestorben.«
    Ich nickte stumm. Der Tod erntet, und in den Pflugfurchen kommen andere Männer und pflücken neue Pflanzen, wenn nur ein wenig Zeit vergangen ist. Wenn die ersten Frostnächte vorbei sind.
    Und Cohen sang.
    Nach einer Weile sah sie zu mir auf mit einem putzigen Ausdruck in den hellen Augen. Sie sah mich forschend an. Dann sagte sie leise: »Wenn du willst, dann können wir gern …«
    Ich wollte, und wir konnten.
    Sie hatte weiche Brüste, geschmeidige Hüften, einen goldenen Graspfad zwischen den Beinen, trockene Haut auf dem Rücken und eine hingebungsvolle Art zu lieben, die uns das Chaos um uns herum vergessen ließ, alle Bücher und Notenblätter, unsere Kleider, die auf aufgeschlagene Zeitungen fielen, unsere Schuhe, die eingeklemmt zwischen Bücherstapeln und Zeitschriftenbergen standen, und das nicht unbedingt bequeme Rokokosofa, auf dem man wahrscheinlich Krinoline tragen mußte, um beim Lieben keine Blasen zu bekommen.
    Erst in der Stille danach bemerkten wir den hackenden Rhythmus des Saphirs am Ende der Platte, die sich drehte und drehte, wo Cohen schon lange zum Verstummen gebracht war. »That’s no way to say goodbye«, murmelte ich, stand auf, ging hinüber und hob den Tonarm ab, schaltete den Plattenspieler ab und kehrte zurück zu Lady Midnight aus Landås.
     
    Ich wachte irgendwann gegen Morgen davon auf, daß sie sich anzog. »Ich muß jetzt nach Hause«, sagte sie leise. »Ich frage Gro, ob sie mit will.«
    Neue Laute vom Flur her deuteten daraufhin, daß Gro wahrscheinlich auf eine ähnliche Idee gekommen war. Ihr dunkler Schopf sah herein, pfiff vielsagend, als sie mich nur mit meiner Stimme bekleidet auf dem Sofa liegen sah, murmelte etwas von »gleich und gleich«, und dann waren sie

Weitere Kostenlose Bücher