Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Gefallene Engel

Gefallene Engel

Titel: Gefallene Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunnar Staalesen
Vom Netzwerk:
mußte, wenn er ein Notenblatt wendete. An einer Wand war eine solide Holzplatte befestigt, und darauf stand eine Musikanlage mit allem, was das Herz begehrte, vom Synthesizer bis zum Servicewagen: Plattenspieler, Tonband, Kassettenrecorder, Drumcomputer, Sequencer, Sampler und Donald Duck.
    »Hier komponiere ich!« sagte Jakob stolz. Er zeigte auf ein Digitalwerk in drei Varianten, eine altmodische Klaviatur und eine Computertastatur von Börsenmaklerdimensionen. »Da sitzt mein ganzes Symphonieorchester, um sechs Uhr morgens mit Schlips und Kragen, wenn ich will. Da blasen Jerichos Posaunen und knistert Ry Cooders Gitarre – gleichzeitig, wenn ich es nur will. Da kann ich auf Autohupen drücken, Telefone klingeln lassen, das Affengeschrei des Dschungels herausholen und New Yorks Verkehrsmusik, Eulenschreie von hinter dem Mond, oder was du willst, Varg!«
    »Brauchst du das denn? Ich meine – von hinterm Mond?«
    »Hör zu. Ich finde eine Melodie und will sie auf verschiedenen Instrumenten und mit unterschiedlichen Rhythmen ausprobieren. Dann macht die Anlage das für mich. Ich selbst spiele nicht halb so gut – jedenfalls nicht ohne zu üben! Und sie kann alle Instrumente spielen, ich nur ein paar. – Wenn ich also ein Arrangement schreiben will, dann setze ich das Orchester zusammen. Ich gebe die verschiedenen Instrumente ein – und schwupp! Dann krieg’ ich zu hören, wie es klingt.«
    »Und woran schreibst du?«
    »Im Moment schreibe ich gerade an einer Symphonie. Meine erste. Schwarze Messen nenne ich sie, denn davon handelt sie. Die schwarzen Messen, an denen wir alle teilnehmen, in unserem Inneren.« Er sah mich ernst an.
    Ich nickte nachdenklich und ließ den Blick über die Wände gleiten, wo schriftliche Notizen hingen, Notenblätter, Textauszüge und Schwarz-Weiß-Fotos von ihm selbst in verschiedenen Zusammenhängen, von den fröhlichen Bergen-Beat-Jahren bis zu Kirchenkonzerten in der Osterwoche. »Du hast dich ein gutes Stück wegbewegt von da, wo du angefangen hast,« sagte ich.
    »Verständlicherweise. Ich bin vierundvierzig Jahre alt. Musik ist Veränderung und Bewegung, und nichts klingt jemals so, wie es zwanzig Jahre früher geklungen hat. Nicht mal die Rock-Musik, auch wenn es einem ab und zu so vorkommt.« Er nickte wieder auf den Flur hinaus. »Gehen wir?«
    Ich nickte zurück. Wir gingen.
     
    Und wir gingen zu den Dichtern.
    Der erste Dichter hatte einen Haufen Spottverse, eine Opernparodie in Reimen und eine Kneipe in Bergen hinterlassen. Nachdem man ein paar Halbe dort verbracht hatte, war es schwer, die Klientel von den Figuren auf den großen Gemälden zu unterscheiden, aus des Dichters versoffenster Spaßvogelgalerie. Hier trafen sich Theaterleute, Autoren, Studenten der Handelshochschule und andere Trunkenbolde. Wir fielen nicht aus dem Rahmen.
    Jakob lehnte sich über den Tisch, sah mir in die Augen und sagte: »Rock ist Religion! – Eines der Schlagworte von ’67. Denn Rock ist Rhythmus. Und Rhythmus hat etwas absolut Religiöses an sich. Rhythmus und Rituale. Der Ausgangspunkt für alle Religionen.«
    »Ja schon, aber …«
    »Die Musik begleitet uns überall, ist der Rhythmus in unserem Leben. Das Klopfen des Herzens deiner Mutter, wenn du in ihrer Gebärmutter liegst, das Blut, das regelmäßig durch die Nabelschnur und in deinen Kreislauf hinein pocht. Das ist die erste Musik, die du hörst. – Später, wenn du Glück hast, dieselbe Mutter, die dir abends etwas vorsingt, um dich zum Schlafen zu bringen. Zirkusmusik. Schulorchester am 17. Mai.«
    »Die Stadtteilkorpstrommeln im Frühling.«
    »Weihnachtslieder, Psalmen.«
    »Pop.«
    »Genau. Pop! Das klingt, wie wenn du den Korken von einer etwas abgestandenen Flasche Champagner ziehst. Aber was Pop ist, ist die populäre Musik einer jeden Zeit – von Strauß bis Tschaikowsky, von Debussy bis Gershwin, von Richard Rodgers bis Lennon und McCartney. In einer Periode Wienerwalzer, Music Hall in einer anderen. Schmachtende Evergreens in einem Jahrzehnt, Swingjazz in einem anderen …«
    »Und Rock in ziemlich vielen.«
    »Ja, aber was heißt denn schon Rock, Frau Beethoven? Es ist ein ziemlicher Weg vom amerikanischen Rock ’n’ Roll der 50er Jahre bis zum heutigen Synthe-Rock.«
    »Ich dachte, du arbeitest selbst mit Elektronik?«
    »Jaja, aber alles zu seiner Zeit. Womit ich arbeite, ist, verschiedene musikalische Ausdrucksformen zu erforschen und sie in neue Zusammenhänge zu bringen. Klangbilder schaffen.«
    Ich

Weitere Kostenlose Bücher