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Gefallene Engel

Gefallene Engel

Titel: Gefallene Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunnar Staalesen
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nickte. Am Nachbartisch hatte sich eine heftige Debatte über metaliterarische Wirkungsmittel im europäischen Film der 80er Jahre entwickelt, und Namen wie Fassbinder, Wim Wenders und Betty Blue schwirrten über die Biergläser. Ich war mit keinem von ihnen per Du und hatte mehr als genug damit zu tun, Jakobs Wirkungsmittel auseinanderzuhalten.
    Dann machten wir uns auf zum nächsten Dichter. Seine Komödien wurden noch immer gelesen und gespielt, und er hatte eine reiche und vielseitige Karriere gehabt, vom Sklavenhändler bis zum Baron. Die Klientel in seiner Kneipe war weit weniger studentisch als vor fünfzehn Jahren, abgesehen vom 8. März, denn die Aktivistinnen der Frauenbewegung mit den Wurzeln in den 70er Jahren glaubten immer noch, daß sich hier das Leben abspielte. – Vielleicht rührte die Stiländerung auch eher von einer Illusion her, denn nach dem Niveau des Rausches zu urteilen, hatten die meisten der Anwesenden seit 1968 hier gesessen und getrunken, es könnten also durchaus auch immer noch dieselben gewesen sein, die dort saßen. Was seinerzeit Studenten gewesen waren, war mittlerweile zu einem Dipl. alk. aufgestiegen, mit unterschiedlicher Fächerkombination.
    Jakobs Zunge wurde langsam schwer, und er produzierte mit regelmäßigen Abständen Kurzschlüsse. Er beugte sich vor zwischen zwei Biergläsern und sagte: »Das Problem … das Problem ist, das Notwendige mit dem – Notwendigen zu kombinieren.«
    »Genau«, sagte ich.
    »Das was du – mit dem, was du tun mußt«, fuhr er fort.
    »Aha.«
    »Das Nützliche mit dem – Nützlichen.«
    Ich nickte schwerfällig. Ich hatte ein merkwürdiges Gefühl im Kopf, als würde ich ihn nicht mehr nach oben bekommen, wenn ich noch öfter nickte.
    »Eina A-a-arbeit zu haben, wie die in der Kirche – mit dem K-k-komponieren.«
    Als ich nicht antwortete, fuhr er fort: »Was leicht R-r-tine werden kann! Mit der Seele.« Nach einer Denkpause setzte er hinzu: »Ich habe nämlich was, was ich sagen will.«
    »Und das sagst du mit Tönen, und nicht mit Worten – wie geschrieben steht?«
    »Beim Apostel Thomessen? Der Brief ans Theatercafé?«
    »Kapitel zwei, Vers drei.«
    »Aber das ist tatsächlich so, V-rg! Die Musik kann vieles ausdrücken, wo Worte nichts vermögen, wie auch geschrieben steht.«
    »Das meiste hat schon mal jemand geschrieben, und die allermeisten Melodien sind Plagiate. Gut camouflierte Plagiate, die besten, aber trotzdem. Yesterday wurde eigentlich von Schubert geschrieben.«
    »Quatsch! Von Bach.«
    »Nichtsdestoweniger sind wir uns einig, daß …«
    »Ich sage, was ich schon immer gesagt habe«, unterbrach er mich. »Bei der 1.-Mai-Demonstration, in jenen schweren Zeiten, versammelte ich mich immer unter der Parole: VERGESST GERSHWIN NICHT!« Er sah sich verstohlen um. »Aus irgendeinem Grund ging ich immer allein.«
    Es war still geworden um uns herum. Auffallend still. Wir sahen uns um. Die Tische rund umher entvölkerten sich langsam. Die Serviererinnen waren dabei, die Aschenbecher zu leeren.
    Aber aus dem hintersten Raum hörten wir noch immer das lärmende Lachen von Paul Finckel, der dort an seinem Stammtisch saß, mit einem Indianerbuchautor auf der einen Seite, einem ehemaligen Fußballstar, heute Postbeamter, auf der anderen und einer mehr oder weniger vielversprechenden Auswahl schwermütiger Brüste auf der gegenüberliegenden Seite des Tisches.
    »Wollten wir nicht in einen Laden, der – Hot Spot hieß?« fragte ich vorsichtig.
    Sein Gesicht leuchtete auf, und er schüttelte die plötzliche Schwermut ab. »Ja, natürlich! Hot Spot! Der hotteste Spot in der Stadt!«
    Als wir aufstanden und uns in Richtung Tür trollten, streckte Paul Finckel seinen Kopf hinter der Trennwand hervor, hob sein Bierglas zum Gruß und grölte: »Hütet euch vor den Sirenen, Jungs! Hütet euch vor den Sirenen!«

15
    Es war schon weit nach Mitternacht, als wir uns vor dem anonymen dreistöckigen Stadthaus im Viertel zwischen dem Busbahnhof und dem Bahnhof wiederfanden, das diese Woche das Hot Spot verbarg.
    Die Dezembernacht schleckte uns mit kalter Zunge über die Nase, und oben irgendwo am Fjellhang bellte es aus einer einsamen Hundehütte. Aus dem ersten, zweiten und dritten Stock hämmerten hermetische Discorhythmen gegen die geschlossenen Fensterscheiben. Vorgezogene Gardinen dämpften den Krach auf Garderobenniveau, und wenn wir es nicht besser gewußt hätten, hätten wir vermuten können, daß dort oben irgendeine Privatfete

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