Gefallene Engel
über alle anderen auf dieser Welt), dann war das eine imponierende Leistung.
»The Harpers … Zusammen mit den Stringers, Badboys und Rhythmic Six waren sie unter den Top-Bands in der Bergen-Beat-Periode. Aber die Harpers fingen eigentlich früher an. Schon … jetzt muß ich nachsehen … 1958 haben sie bei ihren ersten Tanzabenden gespielt. Da spielten sie Elvis-Songs mit Johnny Solheim im Rampenlicht und …«
Er unterbrach sich selbst und zeigte auf mich mit dem Finger von Perry Mason in einem amerikanischen Fernseh-Gerichtssaal.
»Johnny Solheim! Also deshalb …« Er blätterte in einem Stapel Notizzettel auf seinem Schreibtisch. »Mir wurde gerade aufgetragen, eine Art Nachruf auf ihn zu schreiben – jedenfalls eine Notiz – vom lieben Johnny, bis zwölf Uhr heute mittag. – Du meinst doch nicht etwa, daß das was mit den guten, alten Harpers zu tun hat?«
»Nicht unbedingt. Daß ich mich für die Harpers interessiere, hat andere Gründe.«
»Und welche?«
»Das kann ich dir leider nicht sagen. Jedenfalls nicht jetzt. – Aber es drehte sich jedenfalls alles um Johnny Solheim?«
»Du weißt – vor den Beatles war nie die Rede von Gruppen, sondern von Sängern mit Band. Es hieß Johnny Solheim & The Harpers, Helge und Rune & The Stringers, Tom de Lange & The Rhythmic Six und Stig Madsen & The Badboys – um nur ein paar zu nennen. – Und dann drehten sie sich mit dem Wind und folgten der Mode. Nimm mal die Harpers. Erst waren es Elvis-Songs, vielleicht mit einem bißchen Tommy Steel und Paul Anka vermischt. Dann kam ein sanfter Übergang mit den Everly Brothers und Cliff Richard & The Shadows. Die Bands, die keine guten Stimmen hatten, wurden nur Shadows-Bands und hielten sich an Instrumentalstücke. Aber die Harpers hatten sowohl Johnny Solheim als auch gute Chorstimmen, und sie fingen nach und nach an, selbstkomponierte Sachen zu spielen, mit ordentlichem Drive. Drive und Song. Die Jungs hätten es weit bringen können, wenn sie einen besseren Sinn für die PR gehabt hätten. Es wurden Wochenendauftritte im Distrikt, eine Tournee durch Nordnorwegen und zwei in Ostnorwegen, zwei Singles und eine LP und später eine Solo-LP mit Johnny Solheim, aber Karriere haben sie eigentlich nie gemacht. Die Pussycats gruben damals den meisten das Wasser ab. – Aber Herrgott noch mal, sie hatten wenigstens ’ne lustige Zeit. Spielten bei Tanzabenden auf dem Lande, wo die Mädchen der Reihe nach umfielen und schrien, so wie sie es in der Filmzeitschrift von den Mädchen im Ausland gesehen hatten. Sie brauchten sich nur zu bedienen. Sie haben so viel Lammfleisch gekriegt, daß es ihnen sicher heute noch nicht wieder richtig schmeckt.«
»Aber – wann waren sie eigentlich auf ihrem Höhepunkt?«
»Ihre große Zeit – was ich die große Zeit nenne – war von 1960 bis ’64. Danach lebten sie von ihrem Ruhm, in den lokalen Charts ganz oben, noch bis 1970, als sie dann auf der norwegischen Welle mitschwammen, Texte auf Bergendialekt schrieben und Die Harfenjungs wurden. Aber irgendwie war die Luft raus. Außerdem kamen sie – jedenfalls als Popstars betrachtet – langsam in die Jahre. Langsam, aber sicher waren sie alle über dreißig, und 1975 war’s dann auch aus.« Er sah kurz auf seine zweite Karteikarte.
»Johnny Solheim machte weiter, in diversen Gruppen und mit verschiedenen Besetzungen, in den letzten Jahren zum Teil in Zusammenarbeit mit Stig Madsen von den alten Badboys. Die anderen verschwanden von der Bildfläche. Jakob Aasen ist Organist, soweit ich weiß. Die anderen …« Er zuckte mit den Schultern.
»Erzähl mal – wie waren sie? «
»Die Harpers – so privat, meinst du?«
»Ja?«
»Johnny Solheim, wie gesagt. Die Hauptfigur – auf der Bühne. Elvis, Cliff und John Lennon, sozusagen. Na ja, ein John Lennon, der nicht kreativ war, eben. Denn er schrieb nie einen Song selbst – bis zu der Solo-LP und die war, ehrlich gesagt, ein Fiasko. Er spielte Gitarre und sang – hatte eine rauhe, heisere Stimme, die weit mehr Bluescharakter hatte als die der meisten anderen Schmalzcharmeure aus der Epoche. – Aber der Kopf der Gruppe war Jakob Aasen. Zu Anfang war er eher anonym, spielte Gitarre neben Johnny, sang Chor und trieb an, trat aber nie selbst hervor – bis zu der Periode, wo sie anfingen, ihre Sachen selbst zu machen. Jakob Aasen hat alles geschrieben, und es war absolut nicht schlecht. Ohne ihn wären sie nur eine ziemlich durchschnittliche Tanzband gewesen, die Coversongs spielt.
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