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Gefallene Engel

Gefallene Engel

Titel: Gefallene Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
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die Dunkelheit schob.
    »Das hier muss die Dockzentrale sein«, schlussfolgerte Sun, tätschelte ihren Arm und drehte sich langsam im Kreis. »Was habe ich Ihnen gesagt? Intelligente Kartierungssysteme von Nuhanovic. Niemand baut bess…«
    Ihre Stimme erstarb. Ich schaute mich zu ihr um und sah, wie sich ihre Augen weiteten und auf etwas fixierten, das weiter entfernt war. Ich folgte ihrem Blick zur Skelettstruktur im Zentrum der Plattform, und dann entdeckte auch ich die Marsianer.
    »Sie sollten lieber die anderen rufen«, sagte ich halb abwesend.
    Sie hingen über der Plattform wie die Geister zu Tode gefolterter Adler, mit ausgebreiteten Flügeln, in einer Art Netz gefangen, das auf unheimliche Weise in den Luftströmungen schwang. Es waren zwei. Einer befand sich fast an der höchsten Stelle der Zentralstruktur, der andere ungefähr in menschlicher Kopfhöhe. Als ich mich misstrauisch näherte, sah ich, dass am metallischen Netz Instrumente angebracht waren, deren Zweck für mich genauso wenig ersichtlich war wie der der Maschinen, die wir in den Blasenkammern gesehen hatten.
    Ich kam an einer weiteren Gruppe Singzinnen vorbei, von denen die meisten nicht mehr als kniehoch waren. Ich würdigte sie kaum eines zweiten Blickes. Hinter mir hörte ich, wie Sun in die Spirale schrie, um die anderen zu holen. Ihre laute Stimme schien etwas in der Luft zu verletzen. Die Echos jagten in der Kuppel hin und her. Ich erreichte den unteren der zwei Marsianer und stellte mich unter den Körper.
    Natürlich hatte ich sie schon in zahlreichen Darstellungen gesehen. Wer nicht? Vom Kindergarten aufwärts wird man damit gefüttert. Die Marsianer. Sie haben die mythischen Wesen aus dem heimischen Garten unseres erdgebundenen Kulturerbes ersetzt, die Götter und Dämonen, mit denen wir einst unsere Legenden begründeten. Wer könnte noch unterschätzen, hatte Gretzky geschrieben, als er offenbar noch etwas Mumm besessen hatte, welch erschütternden Schlag diese Entdeckung uns versetzte, unserem Selbstverständnis, zu diesem Universum zu gehören, und unserem Selbstverständnis, dass dieses Universum in irgendeiner Weise zu uns gehört.
     
    So hatte Wardani es mir dargelegt, an einem Abend auf dem Balkon über der Wüste in Roespinoedjis Lagerhaus:
    Bradbury, 2089 vorkolonialer Zeitrechnung. Die Gründer und Helden der menschlichen Antike wurden als die saudummen Hinterhofschläger entlarvt, die sie wahrscheinlich immer gewesen waren, als die Decodierung der ersten marsianischen Datensysteme den Beweis für eine raumfahrende Zivilisation erbrachte, die mindestens so alt wie die Menschheit insgesamt war. Das jahrtausendealte Wissen Ägyptens und Chinas war plötzlich nicht mehr als der Datenstack im Schlafzimmer eines zehnjährigen Kindes. Die Weisheit der Epochen wurde mit einem Streich zu den pfeifenrauchgeschwängerten Grübeleien von Hafenkneipenzechern reduziert. Lao Tzu, Konfuzius, Jesus Christus, Mohammed – was hatten diese Typen zu bieten? Beschränkte Lokalhelden, die nie ihren Planeten verlassen hatten. Wo waren sie, als die Marsianer den interstellaren Raum durchquerten?
    Natürlich – ein säuerliches Grinsen in Wardanis linkem Mundwinkel – hatten die etablierten Religionen sofort den Gegenangriff gestartet. Die üblichen Strategien. Schnell die Marsianer ins Weltbild einbauen, die Schriften uminterpretieren oder neue aus dem Hut zaubern. Wenn das nicht half, weil es an grauer Masse zur Bewältigung solcher Anstrengungen fehlte, leugnete man einfach alles als Werk böser Mächte und erschoss jeden, der etwas anderes behauptete. Das musste funktionieren.
    Aber es funktionierte nicht.
    Eine Zeit lang sah es aus, als würde es funktionieren. Die hochkochende Hysterie stachelte die Gewalt der Sektierer an, und die erst kürzlich eingerichteten Universitätsinstitute für Xenologie gingen immer wieder in Flammen auf. Bewaffnete Leibwachen für berühmte Archäologen und etliche Schlachten auf dem Campus zwischen Fundamentalisten und der Ordnungspolizei. Interessante Zeiten für die Studentenschaft…
    Aus diesem Chaos erstanden die neuen Glaubensrichtungen. Die meisten unterschieden sich gar nicht so sehr von den alten Konfessionen und waren mindestens genauso dogmatisch. Doch als Unterströmung machte sich immer mehr der weltliche Glaube an etwas bemerkbar, das ein bisschen schwerer zu definieren war als Gott.
    Vielleicht lag es an den Flügeln. Ein kultureller Archetypus, der so tief verwurzelt war – Engel, Dämonen,

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