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Gefallene Engel

Gefallene Engel

Titel: Gefallene Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
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sich dem Flugverkehr an, der allmählich sehr gedrängt wirkte.
    Sie gaben die gleichen Klagelaute von sich, die auch das Schiff etwas früher hatte hören lassen, denselben Trauergesang, der von den Singzinnen am Boden kam, die gleiche Trägerwelle, die ich mit dem Komset empfangen hatte. Spuren des Kirschen-Senf-Aromas trieben durch die Luft heran, doch nun war eine weitere Duftnote hinzugekommen, die verkohlt und alt roch.
    Hyperraumverzerrungen rissen draußen den Weltraum auf und explodierten, die Schutzschilde wurden wieder aktiviert und schimmerten nun in violettem Farbton, während die Hülle des Schiffes von ständigen Rückstößen des Gegenfeuers der Batterien erschüttert wurde. Mich irritierte es kaum noch. Jedes Gefühl körperlichen Unbehagens war verschwunden, zu einer konzentrierten Anspannung in meiner Brust und einem wachsenden Druck hinter meinen Augen reduziert. Die Plattform schien sich um mich herum beträchtlich ausgedehnt zu haben, und der Rest der Gruppe war nun zu weit auf der weiten Ebene entfernt, um für mich noch eine Rolle zu spielen.
    Unvermittelt wurde mir bewusst, dass auch ich weinte. Ein trockenes Schluchzen in den engen Windungen meiner Nasennebenhöhlen.
    »Kovacs!«
    Ich drehte mich um, fühlte mich, als würde ich schenkeltief in einem eiskalten Bach stehen, und sah Hand, die Jackentasche aufgeklappt, wie er seinen Stunner hob.
    Er war weniger als fünf Meter entfernt, wie ich später nachrechnete, aber es schien eine Ewigkeit zu dauern, sie zu überwinden. Ich watete los, blockierte den Waffenarm an einem Druckpunkt und schlug ihm mit dem Ellbogen ins Gesicht. Er heulte auf und ging zu Boden. Der Stunner schlitterte über die Plattform davon. Ich setzte nach und stürzte mich auf ihn, suchte mit getrübtem Blick nach seiner Kehle. Ein schwacher Arm wehrte mich ab. Er schrie irgendetwas.
    Meine rechte Hand erstarrte zu einer tödlichen Klinge. Das Neurachem arbeitete daran, mir wieder ein klares Sichtfeld zu verschaffen.
    »… alle sterben, Sie verdammter…«
    Ich holte zum Schlag aus. Und sah, wie er jetzt schluchzte.
    Eintrübung.
    Wasser in meinen Augen.
    Ich wischte mit der Hand darüber, blinzelte und erkannte sein Gesicht. Ihm liefen Tränen über die Wangen. Das Schluchzen verschluckte seine Worte.
    »Was?« Meine Hand lockerte sich, und ich gab ihm eine Ohrfeige. »Was haben Sie gesagt?«
    Er schluckte. Schnappte nach Luft.
    »Schießen Sie auf mich. Erschießen Sie uns alle. Mit dem Stunner. Kovacs! Das ist es, was die anderen getötet hat!«
    Dann erkannte ich, dass auch mein Gesicht mit Tränen überströmt war, dass sich meine Augen damit füllten. In meiner angeschwollenen Kehle spürte ich das Schluchzen, denselben Schmerz, den die Singzinnen reflektiert hatten – nicht vom Schiff, wie ich plötzlich wusste, sondern von der vor Jahrtausenden gestorbenen Besatzung. Das Messer, das durch mich schnitt, war die Trauer der Marsianer, eine außerirdische Qual, die hier auf eine Weise gespeichert war, die höchstens mit den Legenden am Lagerfeuer in Mitcham’s Point vergleichbar war, ein nichtmenschlicher Schmerz in meiner Brust und meinem Bauch, der sich nicht abtun ließ, und eine nicht ganz stimmige Note in meine Ohren, die mich, dessen war ich sicher, wie ein rohes Ei zerplatzen lassen würde, wenn sie mich erreichte.
    Vage spürte ich den Riss und die Verzerrung eines weiteren Dunkelkörpers. Die flatternden Schatten über mir wirbelten kreischend durcheinander und flogen höher in die Kuppel hinauf.
    »Tun Sie es, Kovacs!«
    Ich richtete mich wankend auf. Fand meinen Stunner und gab einen Schuss auf Hand ab. Suchte nach den anderen.
    Deprez, der die Hände an die Schläfen gelegt hatte und wie ein Baum im Sturm schwankte. Sun, die anscheinend auf die Knie sank. Sutjiadi zwischen den beiden, undeutlich im flimmernden Blickfeld meiner Tränen. Wardani, Vongsavath…
    Zu weit weg, zu weit weg in der Dichte aus Licht und klagendem Schmerz.
    Die Envoy-Konditionierung suchte hektisch nach einer Perspektive, riegelte die Flut der Emotionen ab, die das allgemeine Weinen in mir ausgelöst hatte. Die Ferne rückte näher. Meine Sinne pegelten sich wieder ein.
    Das Geheul der versammelten Schatten verstärkte sich, als ich mich über meine psychischen Abwehrmechanismen und Dimmschalter hinwegsetzte. Ich atmete es ein wie Guerlain Zwanzig, und es verätzte mein inneres Eindämmungssystem, das tief unterhalb der analytischen Physiologie lag. Ich spürte, wie sich die

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