Gefallene Engel
zur Identifikation und Diagnose von Verletzten waren verhältnismäßig neu in der Ausstattung des Militärs. Auf Innenin hatten wir so etwas nicht gehabt; die Prototypen waren erst herausgekommen, nachdem ich aus dem Corps entlassen worden war, und selbst danach hatte es noch ein paar Jahrzehnte gedauert, bis es sich auch Leute außerhalb der Elitetruppen des Protektorats leisten konnten. Die billigeren Modelle kamen vor etwa fünfzehn Jahren auf den Markt, zum großen Entzücken der militärischen Auditoren, obwohl sie natürlich nie diejenigen waren, die das System benutzen mussten. IDV war eine Aufgabe, die normalerweise von Sanitätern erledigt wurde, um die Toten und Verwundeten vom Schlachtfeld zu holen, oftmals mitten im Gefecht. Unter diesen Begleitumständen wäre es Luxus, einen reibungslosen Einstieg ins Format zu erwarten, und die Maschine, die wir aus dem Krankenhausshuttle mitgenommen hatten, war eindeutig ein Modell ohne Kinkerlitzchen.
Ich schloss die Augen, und die Induktion versetzte mir einen Schlag gegen den Hinterkopf, der sich wie ein Schuss Tetrameth anfühlte. Ein paar Sekunden lang tauchte ich in einen schwindelerregenden Ozean aus statischem Rauschen ein, dann wechselte abrupt die Szene, und ich sah ein endloses Weizenfeld, das unnatürlich still unter einer Spätnachmittagssonne lag. Etwas stieß fest gegen meine Fußsohlen und riss mich hoch, dann stand ich auf einer breiten hölzernen Veranda, vor der sich das Feld ausbreitete. Hinter mir befand sich das Gebäude, zu dem die Veranda gehörte, ein einstöckiges Blockhaus, das auf den ersten Blick alt wirkte, aber viel zu sauber war, als dass es wirklich über einen längeren Zeitraum gealtert sein konnte. Die Planken waren mit geometrischer Präzision verlegt, und ich konnte nirgends einen Riss oder einen Fleck erkennen. Es sah aus wie eine Szene, die sich eine KI ohne Menschlichkeitsinterface ausdenken würde, und vermutlich war es genau das.
Dreißig Minuten, rief ich mir ins Gedächtnis.
Zeit zur Identifikation und Diagnose.
Es lag in der Natur moderner Kriegsführung, dass von toten Soldaten häufig nicht mehr viel übrig war, und das konnte den Auditoren das Leben recht schwer machen. Bei manchen Soldaten lohnte es sich immer, sie zu resleeven; erfahrene Offiziere waren eine wertvolle Ressource, und auf jeder Stufe der Hierarchie gab es Leute, die über wichtige Fähigkeiten als Spezialisten verfügten. Das Problem bestand darin, diese Soldaten schnell zu identifizieren und von den anderen zu trennen, die die Kosten für einen neuen Sleeve nicht rechtfertigen. Wie sollte man im brüllenden Chaos eines Kriegsgebietes so etwas schaffen? Strichcodes verbrannten mit der Haut, Hundemarken schmolzen oder wurden im Feuer bis zu Unkenntlichkeit zerfetzt. Manchmal half ein DNS-Scan, aber das war ein chemisch komplizierter Prozess, der auf einem Schlachtfeld nicht ohne weiteres durchzuführen war, und manche der gemeineren chemischen Waffen machten die Ergebnisse völlig unbrauchbar.
Viel schlimmer war, dass keine dieser Methoden einem verriet, ob ein getöteter Soldat ein psychologisch geeigneter Kandidat für einen neuen Sleeve war. Die Todesumstände – ob man schnell oder langsam starb, allein, mit Freunden, unter Qualen oder betäubt – beeinflusste das Ausmaß des Traumas. Und das wiederum beeinflusste die weitere Eignung als Kämpfer. Eine weitere Rolle spielte die Häufigkeit, mit der man gesleevt wurde. Zu viele neue Sleeves in zu kurzer Zeit führten zum Sleeve-Entfremdungssyndrom, das ich im Vorjahr bei einem etwas zu häufig reinkarnierten Sergeant, der für Wedge als Sprengstoffexperte arbeitete, erlebt hatte. Er hatte den neunten Download seit Kriegsbeginn hinter sich, in einen frisch geklonten zwanzigjährigen Sleeve, und er steckte darin wie ein Kleinkind, das in seiner eigenen Scheiße hockt. Er schrie und heulte unzusammenhängend zwischen introspektiven Momenten, in denen er seine Finger betrachtete, als wären sie Spielzeug, dessen er überdrüssig geworden war.
Dumm gelaufen.
Die Sache war die, dass sich diese Risiken kaum einschätzen ließen, wenn man die verkohlten Überreste untersuchte, mit denen es die Sanitäter häufig zu tun hatten. Zum Glück für die Buchhalter machte es die Stack-Technologie jedoch möglich, nicht nur individuelle Opfer zu identifizieren und zu etikettieren, sondern sie konnte auch feststellen, ob sie unwiederbringlich den Verstand verloren hatten. Knapp unter dem Schädel in die
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