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Gefallene Engel

Gefallene Engel

Titel: Gefallene Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
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anderen Situation, einschließlich eines Orgasmus oder des Augenblicks des Todes. Vielleicht erklärt das, warum so wenig von dem, was wir in der realen Welt tun, sinnvoll erscheint.
    Auf jeden Fall war das eine gute Ausgangsbasis für eine schnelle Psychoevaluation.
    Der Traumsequencer im Herzen der Mandrake-KI, in Verbindung mit den Suchparametern und einer Überprüfung auf Sauberville-Beziehungen, ging die noch übrigen sieben Kilo funktionsfähiger menschlicher Psyche in weniger als vier Tagen durch. Schließlich hatten wir dreihundertsiebenundachtzig Kandidaten mit einem Hochwahrscheinlichkeitsanteil von zweihundertzwölf.
    »Zeit, sie aufzuwecken«, sagte Hand, während er sich Profile auf den Bildschirm rief und gähnte. Ich spürte, wie sich meine Kiefermuskeln in widerwilliger Sympathie spannten.
    Vielleicht war es gegenseitiges Misstrauen, das uns veranlasst hatte, dass keiner von uns beiden den Konferenzraum verließ, solange der Sequencer lief, und nachdem wir noch eine Zeit lang dem Thema Sauberville ausgewichen waren, hatten wir uns kaum noch etwas zu sagen. Meine Augen juckten vom ständigen Starren auf die Daten, meine Gliedmaßen zuckten im Bedürfnis nach körperlicher Anstrengung, und mir waren die Zigaretten ausgegangen. Der Drang zum Gähnen kämpfte um die Oberherrschaft über mein Gesicht.
    »Müssen wir wirklich mit allen reden?«
    Hand schüttelte den Kopf. »Nein, das müssen wir nicht. Ich habe eine virtuelle, mit psychochirurgischen Kenntnissen ausgestattete Version von mir in der Maschine. Sie soll die besten anderthalb Dutzend Kandidaten heraussuchen. Das heißt, falls Sie mir so weit über den Weg trauen.«
    Ich gab es auf und erlaubte mir endlich ein herzhaftes Gähnen.
    »Vertrauen genehmigt. Wie wär’s mit etwas frischer Luft und einem Kaffee?«
    Wir machten uns auf den Weg zum Dach.
     
    Oben auf dem Mandrake-Turm verblasste der Tag zu einer indigofarbenen Wüstendämmerung. Im Osten stachen erste Sterne durch die Weiten des sich verdunkelnden Himmels von Sanction IV. Am westlichen Horizont sah es aus, als würde der letzte Saft der Sonne zwischen dünnen Wolkenstreifen vom Gewicht der anbrechenden Nacht ausgequetscht werden. Die Abschirmung war fast ganz heruntergefahren und ließ den größten Teil der abendlichen Wärme und eine leise Brise aus dem Norden herein.
    Ich sah mir die verstreuten Mandrake-Mitarbeiter an, die den Dachgarten bevölkerten, den Hand ausgesucht hatte. Sie verteilten sich in Paaren oder kleinen Gruppen an den Bars oder Tischen und unterhielten sich in moduliertem, selbstbewusstem Tonfall. Die Fetzen aus Firmen-Standard-Amenglisch, durchsetzt von sporadischen einheimischen Klangfolgen in Thai und Französisch, drangen bis zu uns vor. Niemand schien uns besondere Aufmerksamkeit zu schenken.
    Die Sprachenmischung erinnerte mich an etwas.
    »Was ich noch fragen wollte, Hand.« Ich öffnete ein neues Päckchen Landfall Lights und steckte mir eine an. »Was sollte dieser Blödsinn heute auf dem Markt? Die Sprache, in der Sie sich unterhalten haben, und die Gesten mit der linken Hand?«
    Hand nahm einen Schluck Kaffee und stellte die Tasse wieder ab. »Sie haben es nicht erraten?«
    »Voodoo?«
    »So könnte man es ausdrücken.« Die schmerzvolle Miene, die der leitende Angestellte aufsetzte, verriet mir, dass er es selbst in einer Million Jahren niemals so ausdrücken würde. »Obwohl es genau genommen seit mehreren Jahrhunderten nicht mehr so bezeichnet wurde. Genauso wenig wie in der Zeit, als es entstand. Wie die meisten Menschen, die keine Ahnung davon haben, neigen Sie dazu, die Sache zu sehr zu vereinfachen.«
    »Ich dachte, darum würde es grundsätzlich in der Religion gehen. Um es jenen, denen das Denken schwer fällt, einfacher zu machen.«
    Er lächelte. »Wenn das der Fall ist, scheinen jene, denen das Denken schwer fällt, in der Mehrheit zu sein, nicht wahr?«
    »Das sind sie immer.«
    »Vielleicht.« Hand griff wieder nach der Kaffeetasse und sah mich über den Rand hinweg an. »Behaupten Sie wirklich, keinen Gott zu haben? Keine höhere Macht? Die Harlaniten sind doch überwiegend Shintoisten, nicht wahr? Oder sie gehören irgendeiner christlichen Sekte an.«
    »Ich bin nichts von alledem«, sagte ich knapp.
    »Dann haben Sie keine Zuflucht, wenn die Nacht anbricht? Keinen Verbündeten, wenn die Unermesslichkeit der Schöpfung wie eine tausend Meter hohe Säule auf das Rückgrat Ihrer winzigen Existenz drückt?«
    »Ich war auf Innenin, Hand.«

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