Gefallene Sonnen
die sie geschlagen und von Osira’h fortgezerrt hatten… von ihrer Tochter, ihrer Prinzessin.
Sie ging ohne ein Ziel und sah niemanden, als sie den weiten, leeren Kontinent durchquerte. Dobro war eine sehr dünn besiedelte ildiranische Welt – vielleicht war deshalb das schreckliche Zuchtprojekt hier angesiedelt worden. Gräser flüsterten in der Stille, sprachen mit Blättern, Stängeln und Blüten, aber Nira verstand ihre Sprache nicht. Im Gegensatz zu der der Weltbäume auf Theroc.
Am meisten sehnte sich Nira nach Jora’h, ihrem Geliebten im hellen, bunten Prismapalast. Aber er wusste nicht, dass sie noch lebte. Sie fragte sich, ob er sie inzwischen vergessen hatte – als Erstdesignierter hatte Jora’h viele Frauen geliebt. Bei seinem letzten Besuch auf der Insel hatte der Dobro-Designierte ihr erzählt, dass der alte Weise Imperator tot und Jora’h zu seinem Nachfolger geworden war.
Er wäre längst hierher gekommen, wenn ihm etwas an mir läge.
Nach der Fahrt über das große Binnenmeer hatte Nira ihr Floß an der Küste zurückgelassen und mit der Wanderung über den südlichen Kontinent begonnen. Trotz wunder Füße und müder Muskeln zwang sie sich, den Weg durch Wind, Regen und hellen Sonnenschein fortzusetzen. Sie hatte keine Karte, orientierte sich am Sonnenstand und ging in Richtung Norden.
Irgendwo dort im Norden befand sich das Zuchtlager mit den anderen menschlichen Gefangenen. Nira schauderte bei der Vorstellung, dorthin zurückzukehren, aber in der ildiranischen Siedlung – der einzigen auf dem ganzen Planeten – gab es Raumschiffe, die sie von Dobro fortbringen konnten. Sie und Osira’h.
Es gab nur zwei Möglichkeiten für Nira: Entweder versteckte sie sich für den Rest ihres Lebens, oder sie versuchte, in die Freiheit zurückzukehren, zu den Weltbäumen auf Theroc.
Der Designierte hatte sie auf die Insel gebracht, um bei Verhandlungen mit Jora’h einen Trumpf in der Hinterhand zu haben. Sie wollte sich nicht als Druckmittel verwenden lassen, erst recht nicht gegen Jora’h. Eher wollte sie allein hier in der Wildnis sterben, als so etwas zuzulassen.
Selbst als Novizin hatte Nira mit den Weltbäumen kommunizieren können. Sie hatte ihnen Geschichten vorgelesen und dem intelligenten Wald von der menschlichen Geschichte berichtet. Als sie zur Priesterin auserwählt worden war, hatte der Wald sie akzeptiert, sie verändert und ihr Zugang zu einem neuen Universum aus Gedanken und Erfahrungen gewährt.
Nachdem sie ihre grüne Haut bekommen hatte, war sie immer in der Lage gewesen, die großen Bäume zu hören. Sie hatte nur die schuppige Rinde eines kleinen Schösslings zu berühren brauchen, um sich durch den Telkontakt mit dem Wald zu verbinden. Als die alte Otema und Nira nach Ildira gereist waren, hatten sie Schösslinge mitgenommen, für den Kontakt mit dem Weltwald. Die Wächter des alten Weisen Imperators hatten jene kleinen Bäume zerstört und Otema ermordet, ohne dass ihre Erinnerungen vom Weltwald aufgenommen werden konnten. Nira war verschleppt worden, nach Dobro, ohne eine Möglichkeit, zu den Bäumen zu sprechen.
Ihre grüne Hand schloss sich um den knorrigen Stängel eines unterarmdicken Gewächses. Sie drückte zu, hörte aber nichts von der Pflanze, kein Echo des ausgedehnten Weltwald-Bewusstseins.
Waren diese Pflanzen wirklich stumm, oder hatte ihr Gehirn bei dem brutalen Überfall auf sie Schaden genommen?
Niras Hand zuckte fort vom Stängel, als hätte sie sich verbrannt. Die Möglichkeit, dass sie dem Telkontakt gegenüber taub war, erschreckte sie. Lag es an den Verletzungen? Hatten die Schrecken des Zuchtlagers ihr die Fähigkeit genommen, mit den Weltbäumen zu kommunizieren? Irgendwo auf diesem Planeten musste es einen Schössling des Weltwalds geben…
Bevor die ildiranischen Wächter sie vertrieben hatten, war es ihr gelungen, ihr Wissen und ihre Erinnerungen auf Osira’h zu übertragen. Das kleine Mädchen wusste jetzt, was der Designierte Udru’h mit ihr plante und wie sehr er es hinsichtlich Nira und der anderen Zuchtsklaven belogen hatte. Osira’h wusste alles, und ihre Mutter konnte nur hoffen, dass ihr dieses Wissen irgendwie helfen würde.
Im Schatten eines großen, rötlichen Felsen machte Nira Rast und lehnte sich an den warmen Stein. In dieser öden Gegend gab es nur Gestrüpp, keine Bäume. Ein großer grüner Wald – irgendein Wald – wäre jetzt tröstlich gewesen. Selbst wenn sie nicht mit ihm kommunizieren konnte.
Nira schloss die
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