Gefangen (German Edition)
das Handschuhfach, entnahm ihm einen adressierten Umschlag und steckte die Krankmeldung hinein. Dann wendete er den Wagen und fuhr zurück in die Stadt, um ihn in den Hausbriefkasten der Bank einzuwerfen.
Alles war perfekt. Niemand würde bei Delia anrufen und nachfragen. Gleich am nächsten Morgen hatte er eine Krankmeldung mittels ihres E-Mail-Accounts herausgeschickt. Es war außerordentlich simpel gewesen. Ihr Laptop startete ohne Benutzerkennung und das Passwort ihres E-Mail-Zugangs war gespeichert und wurde automatisch abgefragt. Aber auch ohne diese Möglichkeit wäre ihm etwas Passendes eingefallen, sie krankzumelden. Niemand würde ihn aufhalten und seine Pläne durchkreuzen. Niemand. Rechtzeitig zum dritten Krankheitstag würde die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorliegen. Ausgestellt und unterschrieben vom Psychiater.
Lennart lächelte zufrieden vor sich hin. Er war eben einfach schlau und hatte an alles gedacht. Einen Fehler konnte er sich auch nicht leisten bei dem, was er vorhatte. Als Rechtsanwalt kannte niemand besser die Konsequenzen als er selbst.
Kapitel 12
Es war bereits nach elf Uhr abends. Delia parkte ihr Auto in der Tiefgarage der Wohnanlage. Sie hatte sich noch schnell mit Sabrina getroffen, ehe diese drei Wochen lang in Urlaub sein würde. In der letzten Zeit war die Freundin ihr eine große Hilfe gewesen, um sich von dem Erlebnis mit Lennart ein wenig abzulenken. Delia hatte ihr nicht alles erzählt, und Sabrina war ausnahmsweise taktvoll genug, nicht nachzuhaken. Delia ließ sie in dem Glauben, dass es sich erledigt hatte. Aber nichts war vorbei, gar nichts. Jede Nacht träumte sie von Lennart. Anfangs hatte sie geglaubt, sie würde ihn abgrundtief hassen. Aber das war nicht so. Die Geschehnisse der letzten gemeinsamen Nacht wurden von den vielen erotischen Begegnungen überlagert, die sich in ihrer Seele und ihrem Körper eingebrannt hatten, und sie fühlte eine unstillbare Sehnsucht, dies erneut zu erleben.
Delia gähnte herzhaft, während sie mit dem Aufzug in den zweiten Stock hinauffuhr. Vielleicht sollte sie sich doch an der Volkshochschule anmelden, ein paar Kurse belegen, um sich abends abzulenken? Oder ein paar andere Freunde treffen, zu denen sie den Kontakt in letzter Zeit hatte schleifen lassen? Sie zückte den Wohnungsschlüssel, wartete gleichmütig, bis die Aufzugstür sich öffnete, ging nach rechts, ohne sich umzusehen, und schloss die Tür auf. Schritte kamen von oben die Treppe herunter. Delia hatte den Fuß schon fast über die Schwelle gesetzt und sah sich neugierig um, wer außer ihr um diese späte Uhrzeit noch im Haus unterwegs war.
Lennart. Vier Wochen waren vergangen, seit sie ihn zuletzt gesehen hatte. Für einen Moment war sie freudig überrascht und ihr Herz klopfte schneller. Sie drehte sich ihm entgegen und lächelte, zu naiv und unbedarft, um zu erschrecken, und ehe sie begriff, was er vorhatte, drängte er sie bereits mit der ganzen Kraft seines Körpers in den Flur ihrer Wohnung und drückte ihr ein Tuch über Nase und Mund. Delia wehrte sich, schlug nach ihm, trat ihm gegen das Schienbein, schrie, atmete dabei jedoch ungewollt tief ein, taumelte und verlor das Bewusstsein. Sie sackte in sich zusammen und Lennart fing sie rechtzeitig auf.
Lennart überwachte Delias Erwachen mit voller Aufmerksamkeit. Er studierte jede Bewegung, jede Geste, ihre Mimik. Vielleicht würden ihm diese Informationen später noch nützlich sein. Möglicherweise musste er seine Strategie verändern, flexibel ihren Reaktionen anpassen. Vielleicht verhielt sie sich aufgrund der besonderen Situation nicht mehr genauso, wie er sie bisher kennen gelernt hatte. Allerdings hatte sie sich ganz offensichtlich gefreut, ihn zu sehen. Das war mehr, als er erhofft hatte. Sie hatte ihn vermisst.
Der Rotwein war vollmundig, hatte Rasse. Lennart nahm einen weiteren Schluck. Dann stellte er das Glas ab und beugte sich weiter vor. Die drei Monitore zeigten eine perfekte Überwachung. Nichts würde ihm entgehen. Es gab keine Geheimnisse mehr für Delia. Nichts, was sie vor ihm verbergen würde. Zu keiner Zeit. Rechtzeitig hatte er ihr Leben durchleuchtet, als ob er Komplikationen vorausgeahnt hatte, und sie für sich gläsern gemacht.
Delia räkelte sich schwerfällig. Ihr Kopf fühlte sich dumpf an, kein hämmernder Schmerz, aber eine dunkle Wolke wie undurchdringlicher Nebel zu dunkler Morgenstunde. Tief in ihrem Bewusstsein drängte der Funke der Erinnerung nach vorne,
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