Gefangen (German Edition)
dass gestern Abend irgendetwas geschehen war. Sie öffnete die Augen und setzte sich abrupt auf. Der Druck in ihrem Kopf nahm schlagartig zu und sie presste eine Hand gegen ihre pochende Schläfe.
Lennart! Er hatte sie in ihre Wohnung gedrängt und – jetzt erinnerte sie sich: er hatte sie überfallen. Wo war sie jetzt? Delias Entsetzen nahm zu. Sie hob beide Arme vor sich. Lederne Fesseln, breit, stabil, mit kleinen Schlössern gesichert. Dasselbe an ihren Fußgelenken. Sie stand auf, sah an sich herab, betastete sich überall, voller Angst. Ihr Herz raste panisch. Ein Halsband. Gesichert wie die Fesseln. Ansonsten war sie nackt. Splitternackt.
Sie sprang auf, drehte sich einmal im Kreis, erfasste in Sekundenschnelle die Einrichtung des kleinen Raumes: ein Metallbett, ein Tisch mit Stuhl, ein kleines Schränkchen mit Vorhängeschloss, ein Campingklo. Die Wände in zartem Apricot gestrichen, die Zimmertür schneeweiß. Am Bett, an den Wänden, an der spitz nach oben zulaufenden Decke: Ketten und Ringe.
Delia schluckte krampfartig. Sie befand sich in einem Dachzimmer, das zu einem privaten kleinen Gefängnis hergerichtet war. Sie stürzte zu dem einzigen Fenster, einer Dachgaube mit hellblauen Vorhängen. Abenddämmerung brach herein. Selbst das Fenster war gesichert. Der Riegel ließ nicht umdrehen. Man benötigte einen Schlüssel. Hohe Bäume versperrten die Sicht auf die nächsten Häuser. Ein verzweifeltes Stöhnen entrang sich Delias Lippen. Sie drehte sich um, ging zur Tür, rüttelte an der Türklinke. Vergeblich. Wütend begann sie mit ihren Fäusten an die Tür zu trommeln. Sie horchte. Nichts. Kein Geräusch.
Resigniert schlug sie den Deckel des Campingklos hoch, um ihrer randvollen Blase Erleichterung zu verschaffen. Erst jetzt merkte sie, dass ihr ein paar Tränen die Wangen herunterliefen. Nein! Sie würde ihm nicht den Triumph ihrer Verzweiflung gönnen. Energisch wischte sie die Tränen mit dem Handrücken weg und putzte sich dann die Nase mit dem bereitgelegten Toilettenpapier. Sie war stark! Sie würde ihm Widerstand bieten, diesem Mistkerl. Was hatte er sich nur dabei gedacht, sie zu betäuben und zu entführen?
Entführt. Ich bin entführt worden! Ein kalter Schauer erfasste sie. Wie hatte er sie aus dem Haus gebracht? Und wieso bildete er sich eigentlich ein, dass niemandem ihre Abwesenheit auffallen würde? Ihre Kollegen würden bei ihr zu Hause anrufen und nachforschen, wenn sie sich nicht meldete. Bestimmt. Oder Sabrina, sobald sie aus dem Urlaub zurück war. Delia schöpfte ein wenig Hoffnung und ihr Puls beruhigte sich. Sie lächelte zuversichtlich.
Delia stand auf, klappte den Deckel des Campingklos herunter und drückte auf den kleinen Spülknopf. Dann sah sie sich unschlüssig im Zimmer um. Erst jetzt bemerkte sie, dass auf dem Tisch ein schlichtes schmales Kuvert lag. Sie setzte sich auf den Stuhl, zog die nicht zugeklebte, sondern nur eingeschobene Klappe des Umschlags auf, entnahm ihm einen Bogen und faltete ihn auseinander.
Hallo Sklavin! Hoffe nicht auf fremde Hilfe. Niemand wird dich vermissen – siehe die Fotokopie deiner Krankmeldung. Je eher du dich ergibst, desto weniger unangenehm wird der Aufenthalt für dich. Dein Herr.
Krankmeldung? Delia schaute in den Umschlag, entnahm ihm ein zweites Blatt. Kein Zweifel. Das Blut gefror in ihren Adern. Er hatte es irgendwie geschafft, mittels ihrer Daten diese Bescheinigung zu besorgen. Alles stimmte. Adresse, Geburtsdatum. Das Ausstellungsdatum. Wie lange hatte sie eigentlich geschlafen? Sie hatte Sabrina Mittwochabend getroffen. Das Datum der Bescheinigung war vom Donnerstag.
Ein Schlüssel wurde herumgedreht. Ein zynisches Lächeln lag auf Lennarts Gesicht. Selbst in der schwarzen Jeans und dem schwarzen T-Shirt, das er jetzt trug, sah er immer noch attraktiv aus. Delia biss sich auf die Lippe. Verdammt, warum nur geriet sie immer an die falschen Männer, an untreue oder perverse Typen? Dann brach die aufgestaute Wut aus ihr heraus.
«Du perverser Widerling! Du Arschloch, für was hältst du dich eigentlich?», warf sie ihm mit unverhohlenem Abscheu entgegen, sprang vom Stuhl auf und voller Rage auf ihn zu, um ihn mit geballten Fäusten zu attackieren. Es war ihr gleichgültig, ob ihr Wutausbruch ihre Lage verschlimmern würde. Was konnte schlimmer sein, als entführt zu sein und gefangen gehalten zu werden. Der aberwitzige Gedanke an Flucht beflügelte sie und bündelte ihre Kräfte.
Lennart hätte ihr dafür am liebsten
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