Gefangen im Terror (German Edition)
anziehen konnte. Aber er kam nicht dazu. Mariam war noch einmal zurückgekommen, um mir ein paar Kleidungsstücke zu überlassen. Sie hatte die Situation anscheinend sehr gut eingeschätzt und ich bedankte mich bei ihr. Es tat gut, ein bisschen Zuwendung zu bekommen und wenn es nur von einer Fremden war. Ich zog ein rotes Kleid von Mariam an. Rot war meine Lieblingsfarbe. Als ob sie es gewusst hätte. Dann legte ich mich auf das Bett, das wirklich ein richtiges Bett war mit Matratze und vielen Kissen. Ich wagte kaum, die Kissen zur Seite zu räumen. Aber dann genoss ich die Sauberkeit und Ruhe in diesem Haus.
Beim Essen lernten wir Mariams Mann kennen. Batir, ein kleiner stämmiger Mann, der mindestens einen halben Kopf kleiner war als seine Frau, dafür war er umso dicker. Er trug einen westlichen Straßenanzug und sah darin etwas lächerlich aus. Die Knöpfe schienen fast abzuspringen, so eng war die Jacke. An jedem Finger hatte er einen goldenen Ring mit verschiedenen Steinen, darunter auch einige Diamanten. Trotz seiner für einen Tschetschenen ungewöhnlichen Kleidung wirkte er sehr vornehm und sprach mit uns freundlich und aufmerksam. Miriam bedachte er während des Essens mit besonderen Komplimenten. Er sagte immer wieder: „Du siehst heute wirklich fantastisch aus.“ Oder „Du hast ein wunderbares Essen serviert.“
Diese Bemerkungen waren für mich so fremd und unnatürlich, dass ich gar nicht wusste, wie ich mich an der Unterhaltung beteiligen konnte. Achmed lächelte nur, wenn sein Schwager wieder das Wort an seine Frau richtete. Es schien so, als würde er ihn nicht ganz ernst nehmen. Dieses seltsame Verhalten war nur damit zu erklären, dass Batir seit ein paar Jahren in einer französischen Firma arbeitete, und immer wieder im Ausland war. Er erzählte auch von Paris, wo er in den letzten Wochen gewesen war. Dort hatte er diese Umgangsformen gelernt und seine Augen glänzten, wenn er in allen Einzelheiten beschrieb, wie es in der weiten Welt zuging.
Batir war Chemotechniker und aufgrund seiner Ausbildung für das französische Werk in Tbilisi ein unersetzlicher Mitarbeiter, bei dem viele Stränge zusammenliefen. Die Beschaffung von Rohmaterialien im russischen und arabischen Ausland lag allein in seiner Hand. Er sprach mehrere Sprachen und Dialekte. Die Konzernleitung hatte ihn immer wieder nach Paris geholt, um ihm neue Fertigungskonzepte vorzustellen, die er in Tbilisi umsetzen musste.
Batir war kultiviert, reich und mächtig. Er erzählte gern und viel und wir hörten fasziniert zu. Seine Bemerkungen über Kampfgas, die er mit gesenkter Stimme nur Achmed erzählte, erschreckten mich. Es war nicht üblich, dass Männer und Frauen am gleichen Tisch aßen, aber Batir war durch den westlichen Einfluss seiner Firma geprägt und wir Frauen genossen es, dabei zu sein. Mariam war als Hausherrin für die Speisen zuständig und sie befehligte eine ganze Schar von Dienerinnen. Ab und zu stand sie auf, um den Bediensteten neue Aufträge zu erteilen.
Ich begann, sie zu beneiden. Ihr gehörte alles, wovon ich je geträumt hatte: ein wunderschönes Haus, einen reichen Mann und dazu noch Freiheiten, die wir moslemischen Frauen sonst nur aus dem Kino kannten. Wenngleich mir Batir mit seinem etwas angeberischen Benehmen nicht besonders gefiel, musste ich zugeben, dass die anderen Annehmlichkeiten großen Eindruck auf mich machten.
Nach dem Essen mussten wir uns dennoch zurückziehen. Mariam ging mit mir in einen kleineren Raum neben der Eingangshalle, der sehr spartanisch eingerichtet war. Immerhin gab es ein Bücherregal und einen Fernseher. Sie sagte: „Hier bin ich oft, wenn Batir unterwegs ist. Ich kann in Ruhe lesen oder Fernsehen, denn wir haben über Satellit viele Programme. Sie schaltete das Gerät an und stellte einen europäischen Sender ein. Dort gab es gerade eine Modenschau. Wir sahen kurz zu, dann schaltete sie wieder ab.
Ich wusste nicht so recht, was ich ihr erzählen sollte, aber sie ergriff wieder das Wort: „Wenn Achmed bei uns auftaucht, dann gibt es meistens Probleme“, sagte sie achselzuckend. „Aber du musst dir keine Sorgen machen, Batir und Achmed arbeiten seit langem zusammen und es gibt immer eine Lösung. Wir kennen seine Aktivitäten sehr gut. Leider ist er dieses Mal etwas zu weit gegangen und wir dachten schon, dass er verhaftet wurde, nachdem er in den Zeitungen erwähnt wurde. Aber jetzt seid ihr ja hier und wir werden euch weiterhelfen.“
Ich sagte ihr, wie dankbar
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