Gefangen im Terror (German Edition)
in die Innenstadt, wo wir in der Nähe einer Moschee in einen Hinterhof fuhren. Achmed stieg aus und ging auf einen kleinen Torbogen zu, der zu einem dahinterstehenden Haus gehörte. Neben dem Torbogen rankte eine Glyzinie nach oben, ihre kahlen Äste wirkten wie nackte Gedärme, die sich umeinander verschlungen hatten. Sie trug nur noch vereinzelt gelbe Blätter. Achmed klopfte mit einem eisernen Türklopfer vorsichtig an. Er verschwand hinter der Türe.
Chamil beugte sich zu mir vor und sagte: „Wahrscheinlich werden wir jetzt einen Ort erfahren, wo wir vorerst bleiben können, bis wir neue Ausweise bekommen.“ Seit er mit Achmed zusammen war, hatte seine Anspannung nachgelassen. Er wirkte so ruhig, als wenn wir einen Ausflug machen würden. Das war mir unheimlich. Ich fragte ihn, wer sich hinter dieser Türe verbarg. Chamil sagte hinter vorgehaltener Hand: „Das sind Leute von uns. Sie werden uns weiterhelfen.“
Ich hatte Angst. Wozu Terroristen fähig waren, hatte ich bereits kennen gelernt, für mich gab es keine Sicherheit. Ich sagte weiter: „Außerdem kenne ich Achmed von der Belagerung der Schule her. Er war einer der Geiselnehmer, er hat Kinder verdursten lassen, er...“. Chamil schnitt mir das Wort ab. „Psst, Achmed kommt wieder“.
Achmed stieg wieder ein und wendete das Auto. Er sprach kein Wort. Er heftete den Blick starr auf die Straße und fuhr mit durchgedrücktem Gaspedal los. Ich wendete kurz den Kopf und sah, dass Chamil resigniert dreinblickte. Irgendetwas war schief gelaufen.
Achmed sagte nach einer Weile: „Alle die uns helfen könnten, sind tot.“ Wir werden uns selbst helfen.“ Es klang wie eine Drohung und ich sank noch tiefer in meinen Sitz.
Seit wir die Höhle verlassen hatten, trug ich wieder meinen Schleier. Es waren nur meine Augen zu sehen. Obwohl ich diesen Schleier, wann immer es möglich war ablegte, war er im Moment für mich eine große Hilfe, meine Angst darunter zu verstecken. Wir befanden uns in einer fast aussichtslosen Situation. Wir konnten nicht mehr zurück, nicht nach Beslan, nicht nach Grosny. Wenn man Achmed als Terroristen verhaften würde, wären auch wir in Lebensgefahr. Woher sollten die Milizen wissen, dass ich rein zufällig in diese Sache hineingeschlittert war. Welche Funktion Chamil bei der Geiselnahme innehatte, war mir noch immer ein Rätsel. Es war noch keine Zeit gewesen, ihn darüber zu befragen. Wir konnten auch nicht in Tschetschenien bleiben, da jetzt schon überall Fahndungsplakate aufgehängt wurden, die auch Achmed zeigten. Auch in der Zeitung war er abgebildet gewesen. Und falsche Ausweise, die für eine Ausreise nötig waren, schienen nicht so leicht zu beschaffen zu sein. Zusammengesunken saß ich auf meinem Sitz und beobachtete die Straßen. Es standen überall kleine Gruppen von bewaffneten Männern herum, die sich langweilten. Achmed deutete auf die Kalaschnikow, die zu meinen Füßen unter dem Beifahrersitz hervorschaute. "Kannst Du damit umgehen?", fragte er in gepresstem Ton durch die Zähne. "Na ja, ich habe schon mal ein Gewehr in der Hand gehabt", sagte ich vorsichtig. Aber noch nie geschossen." Er warf mir einen kurzen Blick zu, dann sagte er: "Gut, Du nimmst das Gewehr mit der linken Hand, presst es gegen die Brust und mit der rechten drückst du auf den Abzug, wenn es soweit kommen sollte. Natürlich musst Du auf den Gegner zielen und nicht irgendwohin schießen. Und es muss schnell gehen. Das Gewehr ist so leicht zu bedienen wie ein Spielzeug!", fügte er hinzu. Chamil beugte sich vor, ich spürte seinen stoßweißen Atem in meinem Nacken. "Achmed, Sie kann nicht schießen!", sagte er resigniert. "Da bin ich anderer Meinung", antwortete Achmed in ruhigem Ton. "Wenn es nötig ist, wird sie es tun!" Und zu mir gewandt fügte er hinzu: "Sieh Dir die Waffe am Besten genauer an, damit Du weißt, wie Du sie in die Hand nehmen musst." Ich schob das Gewehr mit der Fußspitze vorsichtig unter dem Sitz hervor. Es war nicht sehr groß. Achmed hatte Recht, es sah fast aus wie ein Spielzeug. Wenn es dazu kommen sollte, würde ich es benutzen, falls ich noch Zeit dazu hatte. War ich jetzt auch eine Terroristin?
Allmählich wurde Achmed wieder ruhiger, er zündete sich eine Zigarette an. Wir verließen Tbilisi in Richtung Süden. Chamil fragte vorsichtig: „Wo willst du hinfahren?“ Achmed sagte mehr zu sich selbst als zu Chamil: „Wir werden meine jüngste Schwester besuchen“.
Das Land wurde immer flacher. Es gab kaum Bäume
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