Gefangen im Terror (German Edition)
gewöhnen. Ich wechselte grundsätzlich die Straßenseite, wenn Bewaffnete auf mich zukamen. Für uns Frauen waren Waffen immer Tabu gewesen. In Afghanistan würde sich das für mich ändern. Ich wollte es noch nicht glauben.
Wie gerne hätte ich meine Eltern angerufen und ihnen gesagt, dass es mir leid tat und ich irgendwann zu ihnen zurückkehren würde. Sie machten sich wahrscheinlich schreckliche Sorgen. Vor allem meine Mutter war sicher völlig am Ende. Chamil hatte mir verboten zu telefonieren. Er sagte: „Der Geheimdienst ist hier allgegenwärtig und jeder Anruf kann unser Ende bedeuten. Die Telefonleitungen bei euch zuhause werden vielleicht überwacht.“ Das konnte ich mir zwar nicht vorstellen, aber ich gehorchte ihm schweren Herzens.
Achmed klopfte an unserer Zimmertüre. Wir öffneten ihm. Er sagte: „Heute Abend um 9 Uhr geht es los. Batir holt uns ab und wir werden mit einer kleinen Privatmaschine nach Afghanistan fliegen.“
Ich war noch nie geflogen und fühlte schon jetzt ein Kribbeln im Bauch. Ganz allmählich begriff ich, was für mächtige und einflussreiche Freunde Chamil hatte. Wir sollten mit einem Privatflugzeug ausgeflogen werden. Batir, der als Geschäftsmann auf mich einen neutralen Eindruck gemacht hatte, gehörte offensichtlich auch zu dieser Organisation. Offiziell arbeitete er für die Russen und unterstützte dabei die tschetschenischen Rebellen. Ich wusste nicht mehr, was ich glauben sollte. Alles erschien mir als Lug und Trug. Politik war mir schon immer ein Rätsel gewesen und auch mein Studium über Geschichte hatte daran nicht viel geändert. Ich kannte mich zwar in der Vergangenheit gut aus, aber die Geschichte der Gegenwart war so kompliziert, dass ich immer wieder verblüfft war, welche Möglichkeiten es gab, das System zu unterwandern. Der offene Terror war nur eine Waffe, es gab noch andere Spielarten.
Batir kam pünktlich. Wir verließen das Hotel unbemerkt über einen Hinterausgang. Dann verließen wir Tbilisi in Richtung Norden. Batir fuhr uns im Schutz der Dunkelheit mit dem Geländewagen auf eine Hochebene. Der Weg führte steil bergauf und war mit Steinen übersät. Es war eine unbequeme Fahrt und ein paar Mal stiegen Chamil und Achmed aus, um größere Gesteinsbrocken aus dem Weg zu räumen. Ich konnte mir beim besten Willen nicht vorstellen, wo hier ein Flugzeug landen und starten konnte. Beinahe wären wir noch in einem ausgetrockneten Flusslauf stecken geblieben, hätte nicht Achmed mit einer Decke unter den Hinterrädern das Auto wieder flott gemacht. Nach einer knappen Stunde kamen wir auf eine Ebene, die durch den Mond und die Sterne erleuchtet war.
Vor uns befand sich eine lange Piste, auf der eine kleine Propellermaschine stand. Der Pilot hatte uns nicht kommen gehört und schlief im Cockpit. Er war noch sehr jung und machte auf mich keinen besonders zuverlässigen Eindruck. Er trug eine enge Jeans und ein schwarzes T-Shirt, auf dem ein Drache abgebildet war. Achmed kannte ihn anscheinend, weil er ihn begrüßte wie einen Bruder.
Unser weniges Gepäck war schnell eingeladen und wir kletterten über eine kleine Leiter hinein. Die Maschine hatte vier Sitze und es war eng. Mir pochte das Herz bis zum Hals. Als wir mit ohrenbetäubendem Lärm über das Rollfeld fuhren, schloss ich die Augen. Vielleicht würde mein Leben nun bald zu Ende sein.
Als das Flugzeug gestartet war und wir zunehmend höher stiegen, wurde der Lärm erträglicher. Unter uns sah ich ganz verschwommen Hügel und Felder vorbeiziehen. Nur der Horizont leuchtete orangerot. Wir flogen auf eine Gebirgskette im Westen zu. Mir erschienen die Berge sehr hoch und ich fürchtete, dass wir nicht hoch genug fliegen konnten, um über sie hinwegzukommen. Achmed und Chamil verhielten sich ganz ruhig auf ihren Sitzen, sie saßen vor mir. Eine Unterhaltung war wegen des Lärms kaum möglich. Es dauerte nicht lange, dann waren die beiden eingeschlafen. Der Pilot kümmerte sich nicht weiter um uns. Er hatte einen Kopfhörer auf und eine seltsame Brille. Ich hatte den Eindruck, dass er nicht einmal nach vorn hinausschaute. Wir flogen ca. 4 Stunden, als sich der Pilot leicht umwandte und zu den Männern sagte: „Wir werden jetzt zwischenlanden, um aufzutanken. Ihr könnt das Flugzeug kurz verlassen. Aber wir fliegen in einer halben Stunde weiter.“
Es dämmerte bereits, als wir auf einem langen Rollfeld landeten, das seitlich sogar Lichter hatte. Ich war so froh, als das Flugzeug wieder auf dem Boden
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