Gefangen im Terror (German Edition)
voller blauer Flecken und der Rücken tat mir weh vom vielen Hinfallen. Trotzdem zog ich mich so schnell wie möglich an und packte ein paar Kleinigkeiten in meinen Rucksack. An Waschen oder Duschen war gar nicht zu denken. Die anderen waren auch in ein paar Minuten fertig. Die Haare unter dem Tschador verborgen, ein Stück Brot in der Hand stiegen wir in den bereits vorgefahrenen Lastwagen.
Wir mussten auf der Ladefläche Platz nehmen, es gab keine Decken oder Sitzunterlagen. Ich benutzte meinen Rucksack, um nicht auf dem harten Boden auf und ab geschleudert zu werden.
Wir hatte keine Ahnung, wie lange wir fahren würden und wohin. Es war richtig kalt am Morgen und ich fror ganz erbärmlich. Unter dem Tarnanzug trug ich nur ein dünnes Hemd und schon nach kurzer Zeit waren meine Finger starr vor Kälte. Es ging in den Norden. Ich hoffte insgeheim, Chamil wiederzusehen.
Wie viele dieser Ausbildungslager es gab, war nicht bekannt. Ich hatte Achmed nicht gefragt, wo er und Chamil untergebracht waren. Wahrscheinlich hätte er mir auch nicht die Wahrheit gesagt. Ich war überzeugt, dass Achmed zu der Führungsschicht der Terroristen gehörte, denn er wurde von allen mit viel Respekt behandelt und ich hatte begriffen, dass manche Dinge nicht ausgesprochen wurden. Die einzelnen Lager und Bunker hatten keine Namen sondern nur Nummern, die Kämpfer gaben sich Decknamen und auch die geplanten Aktionen wurden mit Fantasienamen versehen, um weder den Ort noch den Zeitpunkte des Geschehens zu nennen. Das Wenige, das ich bisher mitbekommen hatte, war zu dünn, um eine Struktur erkennen zu können. Einmal hatten die Aktionen Frauennamen, ein anderes Mal waren es Begriffe aus dem Koran.
Die jungen Frauen, mit denen ich zusammen war, machten sich um all das wenig Gedanken. Sie waren der festen Überzeugung, dass ihre Taten von Allah im Jenseits belohnt würden und der Dschihad ihre Bestimmung war. Ich hatte in den paar Sätzen, die ich bisher mit den Frauen gewechselt hatte, diesen Eindruck gewonnen. Es hatte überhaupt keinen Sinn, ihnen Fragen nach ihrer Herkunft zu stellen oder sie zu fragen, was sie vom Leben erwarteten. Sie erwarteten nur eines: Allah zu dienen und für die gerechte Sache zu sterben. Ich wusste, dass viele der Frauen aus Familien kamen, die schon Väter oder Söhne im Freiheitskampf für Tschetschenien verloren hatten. Sie wollten sich rächen. Die Lager und Erdlöcher, die es im ganzen Land gab, wo das Militär schändete, folterte und tötete hatte vielen Unschuldigen das Leben gekostet. Diejenigen, die freigekommen waren, erzählten von Gräueltaten, wie man sie sich nicht in der lebhaftesten Fantasie vorstellen konnte. Ich versuchte, diese Frauen zu verstehen, obwohl mir so viel Fanatismus fremd war.
Ich hatte Glück gehabt. Nie hatte ich Hunger leiden müssen. Meine Familie war noch vollständig. Mein Vater war immer vorsichtig gewesen, wenn es um politische Dinge ging. Er hatte nie an öffentlichen Aktionen teilgenommen. Ich war in einer sehr freizügigen Familie aufgewachsen, wie ich jetzt überrascht feststellen musste. Den Tschador hatte ich nur getragen, wenn ich selbst es gewünscht hatte. Nie waren die Eltern mir gegenüber mit Vorschriften und Drohungen aufgetreten, wie es in vielen anderen Familien üblich war. Natürlich hatte ich mich immer bemüht, es allen recht zu machen. Es gab wenig Anlass, mich zu maßregeln. Die Einhaltung der Vorschriften des Korans war für mich selbstverständlich.
Nur während des Studiums hatte ich mir manche Freiheiten genommen, was meine Eltern jedoch nie erfuhren. Mir wurde allmählich bewusst, dass ich von fremden Einflüssen geprägt war, ohne es bemerkt zu haben. Tbilisi war eine große Stadt mit modernen Gebäuden, multikulturellen Veranstaltungen und Menschen aus vielen Nationen. Obwohl Ich durch meine Erziehung in einem muslimischen Elternhaus erzogen war und wusste, dass ich diesem Einfluss nie ganz entfliehen konnte, hatte ich gelernt, meinen Verstand einzuschalten. Fanatismus, wie ich ihn hier erlebte, war mir fremd.
Umso mehr wunderte ich mich über Chamil, der sich offensichtlich in dieser Umgebung wohl fühlte und freiwillig dem Dschihad diente. Natürlich hatte auch er jetzt einen Grund. Sein Bruder Mehmet war gefallen. Durch das Militär. Aber musste er jetzt auch noch sterben, damit seine Familie ganz ohne Familienoberhaupt war? Ich hatte ihn zwar immer als frommen Moslem gesehen, wenn er auch manche Regeln missachtete. Dass er als
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