Gefangen im Terror (German Edition)
Freiheitskämpfer für die radikale Sache sterben wollte, konnte ich mir nicht vorstellen. Außerdem hatte er versprochen, mit mir ein neues Leben anzufangen.
Allmählich wurde die Sonne wärmer und der Fahrtwind hatte nachgelassen, weil sich das Fahrzeug jetzt langsamer durch schwieriges Gelände quälte. Die Straße war schmal und mit Schlaglöchern übersät und es ging ständig bergauf. Wir hatten einen weiten Blick in die Landschaft. Die Berghänge waren mit Geröll übersät, nur hin und wieder standen verkrüppelte Bäume am Straßenrand, deren Laub vertrocknet war und die keinerlei Schatten spendeten. Nach mehr als drei Stunden Fahrt waren wir endlich am Ziel.
Wir fuhren in eine Befestigungsanlage, die von hohen Mauern umgeben war. Die Anlage war aus dem Nichts aufgetaucht und auf den Mauern waren Stacheldraht und Scherben befestigt. Der Lastwagen passierte ein Tor und kam auf einem kreisrunden Platz zum Stehen, der in der Mitte einen Brunnen mit einem großen Wasserbecken hatte. Ringsum standen niedrige Gebäude mit kleinen Fenstern, die mehr Schießscharten ähnelten.
Ich hätte nie geglaubt, dass inmitten der rauen Berge eine solche Anlage auftauchen würde. Ich hatte fest damit gerechnet, in eine Höhle zu kommen, denn davon hatte ich schon gehört.
Wir wurden in einen großen Raum geführt, in dem bereits mindestens 20 Frauen anwesend waren. Es gab eine Suppe zu essen und Tee. Ich setzte mich wie alle anderen auf den Boden. Der Raum war nicht sehr groß. Er erinnerte mich an die Koranschule in die ich jahrelang gegangen war. An der Stirnseite des Raumes standen ein Pult und eine Tafel mit einem Projektor.
Als wir gegessen hatten, betraten zwei Männer den Raum. Sie begrüßten die Zuhörerinnen mit Allah Akbar und wiesen uns an, uns wieder auf den Boden zu setzen. Ich hatte mich ganz hinten an der Wand niedergelassen, weil ich möglichst unbeobachtet bleiben wollte. Nach einer kurzen Einführung über den Begriff des Dschihad, begann der Leiter des Seminars einzelne Terrorakte, die bereits stattgefunden hatten, zu kommentieren.
Nachdem ich bei der Besetzung der Schule in Beslan selbst dabei gewesen war, kam ich aus dem Staunen nicht mehr hinaus. Er beschrieb den Einsatz als erfolgreiche Aktion gegen das russische Regime. Ausführlich ging er auf den zeitlichen Ablauf ein und erklärte, dass zu keiner Zeit wirkliche Verhandlungen stattgefunden hatten. Die russische Regierung war zum Teil nicht zu erreichen und der entsandte Unterhändler war ungeeignet gewesen. Es hatten zu viele der 1200 Geiseln überlebt. Um den russischen Besatzern klarzumachen, dass ihr Rückzug aus Tschetschenien unumgänglich war, hätte noch mehr Blut fließen müssen. Nur wenn es bei einem Terroranschlag genug Tote gebe, sei er erfolgreich, war das Fazit seines Vortrags. Bei seiner Rede hatte ich teilweise die Luft angehalten vor Staunen. Das war also die Wahrheit der Terroristen.
Der zweite Mann zeigte, um die Aussagen zu untermauern ein Video, in dem die Geiselnahme von Beslan zu sehen war. Ich saß wie versteinert auf meinem Platz. Jetzt sah ich erst, was in den anderen Räumen alles passiert war. Ich sah, wie überfüllt die Turnhalle gewesen war und wie schrecklich die Zustände dort waren. Eine Erschießung von 5 männlichen Geiseln, die mit dem Gesicht zur Wand standen, war nur einer der Höhepunkte der Vorführung. Alle erschossenen Geiseln kannte ich persönlich. Ich musste für ein paar Minuten die Augen schließen, um nicht laut aufzuschreien. Ich durfte mich nicht verraten. Die anderen Frauen sahen gebannt auf die Leinwand. Mit keiner Regung zeigten sie Mitleid mit den Geiseln.
Diese und weitere Videosequenzen aus anderen Terrorakten wurden uns vorgeführt und kommentiert. Dass die Geiselnehmer ihre Terrorakte selbst filmten, hatte ich in der Schule schon bemerkt. Dass sie diese Aufnahmen als Anschauungsmaterial oder als Werbefilm zur Ausbildung von Terroristen verwendeten, fand ich abscheulich und unerhört. Keine der Frauen um mich herum wandte den Blick ab, als Geiseln enthauptet wurden und kleine Kinder blutverschmiert auf dem Boden lagen. Niemand schrie auf, als Blut spritzte und Frauen geschlagen wurden.
Die Vorführung schien kein Ende zu nehmen und ich sah viele Bilder, die mich wahrscheinlich ein Leben lang verfolgen würden.
Als der Referent zum Schluss kam war es bereits Nachmittag und ich hoffte, endlich aus diesem engen Raum zu entkommen. Stattdessen wurde uns mitgeteilt, dass wir in diesem Raum
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