Gefangen in Afrika: Roman nach einer wahren Geschichte (German Edition)
nicht verwenden. Das Ganze war ja so ranzig! Aber es diente der Mutter als Koch- und Bratfett.
Manchmal verirrten sich Flüchtlinge in unser abgelegenes Tal, in unsere Siedlung der Ausgestoßenen. Dann stellte ich fest, dass es noch schlimmere Armut gab. Ihre Augen waren groß und glasig, ihre ausgezehrten Gesichter apathisch und leer. Sie sahen aus wie der leibhaftige Tod. Wir Kinder fürchteten uns und versteckten uns unter der Stiege, wenn sie bei uns bettelten. Die Mutter gab ihnen immer etwas, eine halbe Tasse Malzkaffee, einen Brocken Brot, einen Schöpfer wässriger Suppe, einen Klumpen Fett. Bei den reichen Bauern hätten sie nichts bekommen, berichteten sie. Alle hätten ihnen die Tür vor der Nase zugeschlagen, der letzte hätte ihnen höhnisch den Weg in die Arme-Leute-Siedlung gewiesen: »Sechs Kilometer bergauf, immer am Fluss entlang. Da wohnen euresgleichen, zu denen könnt ihr euch gesellen.«
Nie haben die Landwirte mit den großen Bauernhöfen weiter unten im Tal mit irgendwas ausgeholfen. Im Gegenteil, wir mussten noch denen aushelfen, auf ihren Feldern, damit wir Linsen und Ähren lesen durften. Dabei fand meine Mutter einmal eine Feige, die vor Ameisen nur so wimmelte. Die hat sie an der Kittelschürze abgewischt und dann zwischen Sieglinde und mir geteilt. Wir Kinder haben uns darauf gestürzt und mit geschlossenen Augen den süßen Geschmack genossen. Zucker war ja Mangelware, etwas Süßes gab es bei uns nicht.
Meine Schwester Sieglinde hatte eine Schulfreundin, Renate, deren Eltern reiche Bauern waren. Wenn sie sich manchmal von der Arbeit davonstahl und zum Spielen zu Renate lief, schlich ich hinterher, denn diese Leute hatten jeden Tag frisch gebackenen Kuchen und Platten voll belegter Butterbrote auf dem Tisch. Dann wartete ich stundenlang am Gartenzaun vor ihrem mit Silbertannen umfriedeten Grundstück und warf begehrliche Blicke auf den Gartentisch, auf dem sich Bleche mit frischem Pflaumenkuchen bogen. Ich sah Renate und Sieglinde am Tisch sitzen und mit Puppen spielen, sie fütterten sie mit Kuchenkrümeln und flößten ihren porzellanenen Mündern Kakao ein. Der Hund bekam schließlich, was die Puppen nicht schluckten.
Der Hunger rumorte in meinen Eingeweiden, und schwarze Punkte tanzten vor meinen Augen. Einmal sackte ich einfach vor ihrem Gartentor zusammen. Als Renates Eltern mich Elendshäufchen sahen, schickten sie auch Sieglinde fort. Wir sollten heimgehen, hier gäbe es nichts zu erbetteln. Die Dorfkrankenschwester, die zufällig an diesem Tag in der Nähe war, wurde von den Bauersleuten zur Beruhigung ihres Gewissens gerufen. Sie waren schließlich anständige Christen, die sich nichts zuschulden kommen ließen. Sie nahm mich an die Hand und brachte mich zu meinen Eltern zurück. Obwohl ich inzwischen sieben oder acht war, sah ich aus wie eine Vierjährige. Die Krankenschwester erklärte meinen Eltern, dass dies ein Zeichen chronischer Unterernährung sei, und verordnete mir zwei Wochen Bettruhe und Aufbaukost.
Daraufhin bot mein Vater den reichen Bauern seine Dienste an, um Essen für mich zu organisieren. Er wollte nichts geschenkt haben, er wollte dafür arbeiten.
Sie schickten ihn auf die Felder und in ihre Ställe und Scheunen zum Rattenfangen. Ja, mein Vater hat für mich Ratten gefangen. Sonst wäre ich wahrscheinlich verhungert. Für jeden Schwanz zwanzig Pfennig, das war der Deal. Mein Vater kroch auf allen vieren im Dreck herum und fing die Ratten mit bloßen Händen. Als er das nötige Geld zusammenhatte, kaufte er beim Schrotthändler Mäusefallen und stellte sie bei den reichen Bauern auf.
Nach einigen Hundert toten Ratten bekam mein Vater das für mich so wichtige Essen.
Ich durfte zwei Wochen lang zurück in mein grün gestrichenes Gitterbett, zurück auf meinen Strohsack, und wurde einer Art Gänsemast unterzogen: nicht bewegen, nicht laufen und nichts tragen, dafür dreimal täglich etwas essen. Der Vater legte ein Holzbrett über die Gitterstäbe, das war mein Tablett. Täglich bekam ich ein Glas Saft. Zwei ganze Wochen lang. Anschließend war die paradiesische Zeit vorbei, und der Vater fing keine Ratten mehr.
Sieglinde wurde von Renate nie wieder eingeladen, und zuerst war sie sehr böse auf mich, aber dann sah sie ein, dass ich nichts dafür konnte. Unsere Namen wurden mit Zorn und Verachtung erwähnt, wir waren die Bettelkinder aus der Steinbruchsiedlung, kein Umgang für die Bauernkinder. Statt eines Schulbrots steckte uns unsere Mutter eine
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