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Gefangen in Afrika: Roman nach einer wahren Geschichte (German Edition)

Gefangen in Afrika: Roman nach einer wahren Geschichte (German Edition)

Titel: Gefangen in Afrika: Roman nach einer wahren Geschichte (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hera Lind
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Handvoll getrockneter Schlehen in die Schürzentasche. Warfen wir in der Pause einen hungrigen Blick auf das dick belegte Wurstbrot eines Bauernkindes, wandte sich dieses verächtlich ab: Zigeunerkind, Bettelkind, Hungerleidermädchen.
    Sonntags auf dem Weg zur Kirche holten wir immer Oma Bärbel ab, eine alte, zahnlose Frau aus der Nachbarschaft. Sie war schon fast blind und hätte den Weg allein nicht geschafft. Eines Tages, wir gingen gerade zur Ostermesse, fiel mir etwas Ungewöhnliches an Oma Bärbel auf.
    »Warum ist dein Gesangbuch heute so dick, Oma Bärbel?« Neugierig schaute ich auf das abgegriffene, in Kunstleder eingebundene Gebetbuch, das sich heute so merkwürdig wölbte. Vielleicht hatte sie ein Butterbrot für uns dabei? Oder ein Osterei?
    Die Oma klappte das Gebetbuch auf, und wir schreckten entsetzt zurück: Das Gebiss von Opa Willi, ihrem Mann, grinste uns daraus entgegen. Es lag zwischen »Herr, wir kommen schuldbeladen« und »Großer Gott, wir loben dich«.
    »Warum nimmst du Opa Willis Zähne mit in die Kirche?«
    »Damit er nicht ohne mich den Sonntagsbraten isst.«
    Auch unsere Mutter hatte heute einen Braten für uns gemacht, aus einem unserer Zicklein, das der Vater gestern geschlachtet hatte. Das jämmerliche Schreien des kleinen Tieres hatte ich noch nicht vergessen. Es war eines meiner wenigen Spielgefährten gewesen. Aber an Ostern durfte und musste man einen Braten essen, das war sozusagen Christenpflicht, denn gefastet hatten wir seit Aschermittwoch genug. In der Kirche saß ich dann zwischen den anderen Mädchen auf den lehnenlosen Kinderbänken, links die Mädchen, rechts die Buben, und erzählte den anderen von Opa Willis Gebiss im Gebetbuch, bis die ganze Bankreihe verstohlen anfing zu kichern. Endlich, endlich stand ich einmal im Mittelpunkt, ich hatte einen Treffer gelandet, und ein unglaubliches Glücksgefühl stärkte mir den Rücken. Es war gerade Wandlung, und ein Messdiener schlug feierlich den Gong.
    »Ping!«, machte ich in meinem Übermut, und die ganze Bankreihe schüttete sich vor Lachen. Das blieb nicht ohne Folgen. Statt des österlichen Sonntagsbratens gab es fürchterliche Schläge von meiner Mutter. »Wenn du mir noch einmal solche Schande machst, erschlage ich dich!«
    »Ich habe es nicht mit Absicht gemacht, es tut mir leid, ich will es nicht wieder tun!«
    Der Vater hockte auf seinem Schemel und hatte die Hände vor das Gesicht geschlagen. Für wen hatte er denn wochenlang Ratten gefangen, sich vor den feinen Bauern in den Staub geworfen? Und nun war ich schon wieder so übermütig, dass ich ihm Schande machte, am heiligen Osterfest, ausgerechnet vor diesen hochmütigen Leuten, die schon immer gewusst hatten, dass wir zu nichts nütze waren! Ein Schlag nach dem anderen sauste auf mein blankes Hinterteil nieder, bis irgendwann die Haut aufplatzte, und ich spürte, wie mir das Blut über meine Schenkel rann.
    Sieglinde hockte angsterfüllt auf der Ofenbank. Bei jedem Schlag zuckte sie wimmernd zusammen, bis oben plötzlich die knarrende Holztür aufging, und die Tante, mit der wir nicht sprechen durften, bleich und gespenstisch im Gegenlicht der Dachluke stand und spottete: »Ja, so ist es recht, Karoline, schlag deine Kleine doch tot, dann bist du sie los!« Dann zeigte sie mit ihrem mageren Finger auf meinen Vater, ihren Bruder: »Aber dafür hättest du sie nicht zwei Wochen lang mästen müssen!«
    »Ach, verschwinde in deine Kammer, in meine Erziehung lasse ich mir nicht reinreden!«
    Meine Mutter warf einen Teller nach ihr, der klirrend auf der Stiege zersprang.
    Sie schlägt dich ja nicht zum Spaß, sagte ich mir. Sie schlägt dich, damit ein besserer Mensch aus dir wird. Du hast es verdient, du hast die heilige Ostermesse gestört. Gott ist traurig, dass es solche Kinder wie mich gibt, ich bin kein bisschen besser als die übermütige Eva aus dem Paradies, und er weiß genau, warum er uns immer hungern lässt.
    Bald hatte ich gelernt, dass jedes Gefühl, glücklich, übermütig und ausgelassen zu sein, ein Grund war, geschlagen zu werden.
    Als ich eines Tages von der Schule nach Hause kam, drehte sich die Mutter zu mir um. »Wir haben Besuch. Oben im Heu, ein armer Köter. Ich habe versucht, den Strick abzumachen, der um seinen Hals geknotet ist, aber das Viech fletscht die Zähne und knurrt mich an. Bevor ich ihn in die Suppe tu … Kannst ja mal nach ihm schauen!«
    Mit fliegenden Beinen kletterte ich die Stiege hinauf. Ganz hinten lag ein struppiger

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