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Gefangen in Afrika: Roman nach einer wahren Geschichte (German Edition)

Gefangen in Afrika: Roman nach einer wahren Geschichte (German Edition)

Titel: Gefangen in Afrika: Roman nach einer wahren Geschichte (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hera Lind
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wollte einmal auch haben, was die anderen Kinder hatten!
    Deshalb schlich ich nach der Schule in die Küche und zog mit zitternden Fingern die Schublade auf, in der mein Vater seine Kupfermünzen für sein wöchentliches Bier aufbewahrte. Ein einziges Bier gönnte er sich, am Samstagabend in der Dorfkneipe, in der er immer abseitssaß, weil er nicht dazugehörte, aber wo man ihn immerhin duldete. Auf dieses eine Bier freute er sich die ganze Woche.
    Mich hastig umschauend stellte ich sicher, dass die Mutter gerade im Stall beschäftigt und der Vater noch nicht von der Fabrik zurück war. Dann nahm ich die Pfennigmünzen in meine schmutzige kleine Kinderhand und rannte so schnell mich meine Beinchen trugen zurück ins Dorf. Im dortigen Schreibwarenladen erstand ich ebenfalls so ein wunderbares Buntpapierheftchen. Ich würde den schönsten Till Eulenspiegel der ganzen Klasse kleben, aus Hunderten von sorgfältig ausgerissenen Papierfitzelchen, in allen Farben des Orients! Das würde mir endlich einen Zweier einbringen, das Lächeln der Lehrerin, und vielleicht sogar ein Lob der Mutter!
    Aufgeregt kam ich ein zweites Mal heim, der Vater beugte sich schon über die Suppe, brockte altes Brot hinein und schlürfte sie anschließend in sich hinein. Arglos zeigte ich ihm das Buntpapierheftchen, blätterte stolz die sechs verschiedenen Farben vor ihm auf: Gelb, Orange, Rot, Grün, Blau und Schwarz. Vielleicht würde sogar noch etwas übrig bleiben, als Tapete für die Weihnachtskrippe!
    Vaters Blick wurde starr, und der hölzerne Suppenlöffel fiel auf den Tisch.
    »Wo hast du das Geld dafür her?«
    Die Mutter, die am Herd hantierte, drehte sich entsetzt um, und ihr entfuhr ein ungläubiges Schnauben. Sie wischte sich die Hände an der Kittelschürze ab und griff nach dem Kochlöffel.
    Mit einem Mal wurde mir kläglich bewusst, dass ich etwas Unrechtes getan hatte. Ich hatte gestohlen!
    Dafür würde es jetzt eine fürchterliche Tracht Prügel geben. Doch ich war mehr als nur bereit, die verdiente Strafe über mich ergehen zu lassen, Hauptsache, ich durfte das bunte Heftchen behalten!
    »Aus der Küchenschublade«, sagte ich tapfer und versteckte das Heft schützend hinter meinem Rücken. Sollte er mich ruhig schlagen, aber das Buntpapier durfte dabei nicht beschädigt werden!
    Zu meiner Überraschung schlug mich Vater jedoch nicht. Seine Augen füllten sich mit Tränen, als er sagte: »Schau, Kleines, zwanzig Pfennig sind für unsereinen eine Menge Geld! Weißt du, wie viel ich pro Stunde in der Fabrik bekomme?«
    Ich schluckte. »Sechs Pfennig«, sagte ich mit belegter Stimme und drohte mich auf einmal an dem Heftchen zu verbrennen.
    »Wie viele Stunden muss ich also für dein Heftchen arbeiten?«
    »Zwei?«
    »Fast vier«, sagte der Vater. Er nahm meine Hände und sah mich eindringlich an. »Und schau mal, wie verfallen unser Häuschen ist. Die Tür schließt nicht mehr richtig, beim Fenster fehlt eine Scheibe, und der kalte Wind pfeift herein, die Stiege ist morsch, der Putz im Schlafzimmer rieselt aufs Bett, und die Mama hat seit fünf Jahren immer nur denselben Kittel an.«
    Meine Mutter wandte sich abrupt ab und ich sah, wie sie sich über dem Suppentopf die Augen wischte.
    »Was willst du jetzt mit dem Heftchen machen?«
    Meine Finger ließen das ersehnte Heft los, und es fiel auf das fleckige Wachstuch neben die Brotbrocken und die Suppe.
    »Vorsicht!«, sagte der Vater, und ein winziges Lächeln erhellte seine Züge. »Wenn es schmutzig wird, nimmt es die Verkäuferin nicht mehr zurück.«
    Meine Eltern weinten beide, als ich das Heftchen vorsichtig an mich nahm, es unter meine Schürze steckte und mich erneut barfuß auf den Weg ins Dorf machte.
    Ich rannte wie von der Tarantel gestochen zum Laden und war unendlich erleichtert, als die Verkäuferin es mir wieder abnahm. Eine Stunde später lagen die Kupferpfennige wieder in der Schublade.
    Noch am selben Abend brachte mir der Vater zum Trost alte Pappe aus der Fabrik mit. Die zerrissen wir gemeinsam und klebten damit einen graubraunen Eulenspiegel zusammen. Seine mageren Hände arbeiteten gewissenhaft. Die Mutter spendierte etwas Sirup als Klebstoff. Sie putzte sich mit dem Kittelzipfel die Nase, weil ihr bei unserem Anblick die Tränen kamen. »Sind doch Kinder, Gottlieb«, sagte sie, während sie sich abwandte. »Sind doch Kinder!«
    Am nächsten Abend brachte der Vater einen alten Karton mit, den wir mit ein paar Kohlestrichen zu einem Mühle-Spielbrett

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