Gefangen in Afrika: Roman nach einer wahren Geschichte (German Edition)
Entscheidungsträgern in Stadt und Landkreis.
Als er eines Abends nach Hause kam und sich wie üblich mit seinem Whiskey in den Ledersessel warf, eröffnete er mir: »Mich hat der Bauunternehmer Krawitzke angesprochen, du weißt schon, der dicke Berliner, der uns vor Kurzem zur Hochzeit seiner Tochter eingeladen hat.«
»Ja?« Krawitzke war mir nicht besonders sympathisch. Ein dicker vorlauter Schwätzer, der meinem Leo Flöhe von internationalen Geschäften ins Ohr setzte. Dauernd war von todsicheren Millionenprojekten die Rede, ich mochte gar nicht mehr hinhören. Auch seine neureiche Frau Hannelore konnte ich nicht besonders gut leiden. Sie hatte einen entsetzlichen Geschmack, was Kleidung anging, und hielt sich irgendwie für was Besseres. Sie wirkten auf mich wie alte Nazis, wie Ewiggestrige. Sie redeten auch so und benahmen sich wie die Herrenmenschen, die ich noch aus meiner schlimmen Kindheit kannte. Die beiden hatten Riesengeschäfte in Südwestafrika gemacht, besaßen dort Land, Häuser und Farmen. Ich konnte mir sogar vorstellen, dass sie dort schwarze Sklaven für sich arbeiten ließen. Offensichtlich wollte Leo nun die über sieben fetten Jahre durch sieben noch viel fettere Jahre ersetzen.
»Das ist ein Riesendeal, Gerti. Ein Riesendeal.«
Leo hielt mir sein leeres Whiskeyglas hin, und ich beeilte mich, ihm nachzuschenken.
Er riss sich die Krawatte vom Hals und öffnete den obersten Hemdenknopf.
»Stell dir vor, Gerti: ich soll in Südwestafrika Krawitzkes Baufirma übernehmen.«
Hm. Ich war mir gar nicht sicher, ob das überhaupt Gefühle in mir auslöste: Wenn er weg war, würde er mir nicht weiter fehlen, und den Kindern auch nicht.
Wir begannen beide zu paffen. Damals rauchte man ständig und überall, natürlich auch in den eigenen vier Wänden. Und, wie ich heute leider zugeben muss, auch in der Gegenwart der Kinder. Es war einfach selbstverständlich, sich damit zu beruhigen oder aufzuputschen. Es gehörte zu einem Gespräch dazu wie ein Glas Wein oder eben Whiskey.
»Ähm, was bedeutet das genau?« Ich hatte mich in meine Sofaecke verkrochen, die Beine angezogen und den Aschenbecher auf dem Schoß.
»Dass ich da hingehe, und zwar pronto!« Leo ließ sein dröhnendes Lachen erschallen, das er in letzter Zeit immer öfter von sich gab, um seine Macht zu demonstrieren.
»Wo liegt denn das genau?« Ehrlich gesagt hatte ich keine Ahnung. Nur dass Afrika groß war und weit weg.
»Südwestafrika ist eine ehemalige deutsche Kolonie. Die Hauptstadt heißt Windhoek, und da wohnen viele Weiße. Und zwar solche wie die Krawitzkes. Die sind nach dem Krieg mal ganz schnell abgehauen und haben da das große Ding gemacht. Die brauchen dringend deutsche Großunternehmer, und Krawitzke sagt, ich bin der richtige Mann dafür.« Selbstgefällig ließ Leo seine Asche in dem goldenen Drehaschenbecher neben seinem Sessel verschwinden.
»Welche Sprache sprechen die da?«, fragte ich naiv.
»Die Weißen sprechen Afrikaans. Das ist so eine Art Holländisch. Darüber hinaus ist natürlich Englisch Amtssprache.«
»Ja, kannst du das denn?«
»Na, für den Hausgebrauch reicht’s. Wie, glaubst du wohl, mache ich denn sonst international Geschäfte?«
Leo lachte mich aus. Natürlich verfügte er über eine andere Schulbildung als ich. Kunststück! Bei uns in Glatten hatten nur die amerikanischen Soldaten Englisch gesprochen. »Chewing Gum« hatte ich behalten, »Rock ’n’ Roll« und »Coca-Cola«.
»Aber da gibt’s doch auch Neger?« Ich hatte wirklich keine Ahnung. Wenn jemals etwas über Südwestafrika in der Tagesschau gekommen war, hatte ich nicht zugehört. Das Wort Neger war damals noch gebräuchlich, und ich meinte es keineswegs abwertend.
»Ach, Kleines, du bist echt naiv.« Leo zündete sich eine neue Zigarette an. Sein Hemd spannte über dem Bauch. »Die Schwarzen wohnen in ihren eigenen Hütten. Die sind nach dem Aufstand, den sie gemacht haben, alle in ein Getto zwangsumgesiedelt worden. Nach Katutura, das heißt so viel wie › Ort, an dem man nicht wohnt ‹ . Die haben weder Wasser noch Strom, das wollen die auch gar nicht. Die leben wie vor tausend Jahren, beten ihre Götter an und glauben an Hokuspokus. Die besten arbeiten für die Weißen in der modernen Innenstadt, die ziemlich deutsch aussieht. Da gibt es sogar eine Christuskirche, sagt Krawitzke. Seine Hannelore singt dort im Kirchenchor.«
»Aha«, sagte ich wenig überzeugt. Wenn Leo in dieses Land gehen wollte, dann aber bitte
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