Gefangen in Afrika: Roman nach einer wahren Geschichte (German Edition)
damit schon im Sack!«
»Komm rein!« Jürgen zog mich in sein Zimmer. Seine Augen strahlten voller Vorfreude. Draußen vor dem Fenster sah man schon erste Raketen fliegen. »Heute lassen wir es richtig krachen!«
»Aber nicht, dass du denkst … « Nervös sah ich mich um. Sein Bett war zerwühlt.
»Gerti.« Jürgen Bruns legte beide Hände auf meine Schultern und sah mir eindringlich in die Augen. »Es wird nichts geschehen, was du nicht selbst von ganzem Herzen willst.«
Mein Blick fiel auf das Weihnachtsgesteck, das ich gebastelt hatte. Die rote Kerze war ganz heruntergebrannt. »Ich will von ganzem Herzen nichts überstürzen.«
»Das ist doch eine klare Ansage.« Jürgen zauberte eine Flasche Piccolo hinter dem Vorhang hervor. »Bis es zum Tanzen geht, haben wir noch Zeit. Setz dich und erzähl mir einfach weiter aus deinem Leben.«
Ich sah ihn erstaunt an. »Und das willst du wirklich?«
»Ja«, sagte er nickend und ließ sich neben mich aufs Bett sinken. Er füllte zwei Zahnputzgläser mit schäumendem Sekt. »Also? Wo warst du stehen geblieben?«
Vier Jahre lang ging alles gut: Leo war in Südwestafrika, zog dort riesige Ladenketten hoch, und wir, die zu Hause gebliebene Familie, genossen aus sicherer Entfernung seinen Erfolg. Er schickte zwar kein Geld nach Hause wie andere Väter, sondern investierte seine Gewinne gleich wieder, aber ich hatte ja meinen Laden. Damit konnte ich meine Jungs selbst ernähren, und das war letztlich ein viel besseres Gefühl, als von ihm zu leben. Die Schwiegereltern und ich waren ein eingespieltes Team. Wir teilten alle Kosten. Ohne Leo war Geld für uns überhaupt kein Thema. Jeder packte einfach mit an, und wir kamen über die Runden. Alle drei Monate kam »der Vati« mit Geschenken beladen heim, hatte dann seinen Riesenauftritt vor den Kindern, die eine Art Weihnachtsmann in ihm sahen, entführte uns in die teuersten Urlaubsgebiete und schwärmte uns von seinem Schlaraffenland Südwestafrika vor.
Nach und nach weckte er in den Kindern den Wunsch, dort zu leben, aber ich schaffte es immer wieder, sie abzulenken. Kinderpartys mit ihren Freunden, Wochenendausflüge mit den Schwiegereltern, Besuche bei meinen Eltern auf dem Bauernhof, Unternehmungen wie Zirkus, Kino, Minigolf und Wettkämpfe auf dem Fußballplatz machten ihnen die Vorzüge unserer Heimat wieder schmackhaft.
Inzwischen lebten bereits zwölf Reutlinger Familien auf Vermittlung von »Kohle-Wolf« in Windhoek. Alle hatten ihr Hab und Gut in Reutlingen verkauft und ihm ihr gesamtes Geld anvertraut. Sie hofften dort auf ein noch besseres Leben und schickten ihre Kinder dort zur Schule. Die Männer arbeiteten für Leo. Wenn so viele Leo vertrauten, warum tat ich es dann nicht?
Henry Meyer, ein sehr netter, jüngerer Mitarbeiter Leos, der als Erster mit ihm rübergegangen war, war der Absender eines hellblauen Luftpostbriefs, der mich im April des Jahres 1975 erreichte.
Liebe Gerti,
nun sind wir hier schon eine richtig große deutsche Clique! Unser Chef und Freund Leo, dem wir hier alle unseren Wohlstand verdanken, leidet sehr darunter, dass nur noch seine eigene Familie vor dem Umzug ins Land der tausend Möglichkeiten »kneift«! Gerti! Wissen Sie, was Sie Ihrem Mann damit antun? Alle haben ihre Familien hier, nur er ist der buchstäbliche einsame Wolf! Wir leben in wunderschönen Häusern mit Swimmingpool, haben Hauspersonal – es ist der reinste Traum! Ständig finden deutsche Partys statt, es gibt unheimlich viele interessante tolle Leute hier, und der Einzige, der immer allein dasteht, ist unser Chef. Das macht bei seinen internationalen Geschäftspartnern einen höchst seltsamen Eindruck. Wissen Sie, welche Gerüchte sich schon um Ihren Mann ranken? Sie können es sich bestimmt denken. Wie peinlich für unseren Chef! Also bitte, Gerti! Das können Sie Ihrem Mann doch nicht antun! Schließlich verdanken wir ihm alle unseren wirtschaftlichen Erfolg. Auch Sie, liebe Gerti, wenn ich Sie daran erinnern darf! Nun geben Sie Ihrem Herzen einen Stoß, und kommen Sie nach Windhoek! Sie können sich erst mal ganz unverbindlich umschauen, nur für ein paar Wochen zur Probe. Natürlich ohne die Kinder, wenn Ihnen das zu gefährlich erscheint. Wir werden Sie alle auf Händen tragen und Ihnen Windhoek schmackhaft machen. Wir wollen, dass unser Chef glücklich ist.
Ihr Henry Meyer mit Familie
Beigefügt war ein Flugticket nach Windhoek, ausgestellt auf kommenden Dienstag.
Ich schluckte trocken. Nun gab es wohl
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