Gefangen in Deutschland
du dort ein und aus gehst und als Einzige deine Haare nicht bedeckt hast? Ganz zu schweigen davon, dass es den Männern in der Familie gegenüber respektlos wäre!«
Ich hatte nie den Eindruck gehabt, die Frauen der Familie könnten sich daran stören, dass ich kein Kopftuch trug. Und was die Männer anbelangte, so war es mir ziemlich egal, was sie von mir dachten. Dies behielt ich aber wohlweislich für mich.
Mahmud setzte mir die Pistole auf die Brust.
»Kein Kopftuch, keine Hochzeit, liebe Katja! So einfach ist das. Du hast die Wahl; du kannst dir überlegen, was dir wichtiger ist.«
Mit dieser erpresserischen Aussage war das Gespräch für ihn beendet. Er wusste ganz genau, dass ich um jeden Preis auf die Hochzeit wollte. Bei dem abgeschotteten Dasein, das ich mittlerweile fristete, war jede Abwechslung gleichsam wie ein Lebenselixier für mich.
Nachdem ich mich irgendwann notgedrungen mit dem Gedanken an meine Verschleierung abgefunden hatte, machte ich mich auf die Suche nach dem Tuch, das mir Hatice bei unserer ersten Begegnung als Geschenk überreicht hatte. Ich hatte es in die hinterste Ecke meines Kleiderschranks verbannt, weil ich damals nichts damit hatte anfangen können. Nun betrachtete ich die aufwendigen Stickereien genauer. Die Handarbeit war so filigran, dass sie an ein kleines Kunstwerk erinnerte. Ich faltete das Tuch zu einem Dreieck und band es mir um den Kopf. Der ungewohnte Anblick im Spiegel erschreckte mich zutiefst: Nichts, aber auch gar nichts an mir erinnerte mehr an eine moderne junge Frau aus dem Deutschland kurz vor der Jahrtausendwende!
Auch Aysegül zeigte sich bestürzt, als sie mich mit Özlem besuchen kam.
»Das kann Mahmud doch nicht mit dir machen!«, lautete ihr spontaner Kommentar. »Du hast dich doch sowieso schon in allem an ihn angepasst – warum verlangt er jetzt auch noch, dass du ein Kopftuch trägst?« Unwillig schüttelte sie den Kopf. »In was für eine Welt sind wir bloß hineingeboren worden!«
Traurig schaute sie mich an.
Am Tag der Hochzeit verbrachten Aysegül und ich eine halbe Ewigkeit damit, uns hübsch zu machen. Zu solchen Festlichkeiten war den Frauen sogar das Auflegen von Make-up erlaubt. Als ich mit dem Schminken fertig war, konnte ich kaum den Blick von meinem Spiegelbild lösen. Wie lange hatte ich mir schon nicht mehr die Wimpern getuscht? Wie lange schon keinen Lippenstift mehr aufgelegt? Zum Schluss band ich mir das Kopftuch um. Wer war die Frau, die mich da so unsicher aus dem Spiegel heraus ansah?
Mahmud und Ogün brachten uns zu dem Haus, in dem die Feierlichkeiten stattfinden sollten. Sie selbst begaben sich in eine benachbarte Gaststätte, in der die Männer die Hochzeit zunächst unter sich feiern würden. Von Aysegül wusste ich, dass eine traditionelle türkische Hochzeit an einem Montag beginnt und an einem Freitag endet, wobei in der Nacht vom Donnerstag zum Freitag die Hochzeitsnacht stattfindet. Vorher muss sich die Braut noch einer rituellen Waschung unterziehen und alle Körperhaare sorgfältig entfernen. In der meist am Vortag der Hochzeit stattfindenden »Hennanacht« werden ihre Handflächen und Fußsohlen mit Henna bemalt. Manchmal bemalen sich auch die anderen Teilnehmerinnen des Festes die rechte Handfläche mit Henna, und das symbolische Rot, das sowohl das Gute herbeiführen als auch das Übel abwehren soll, taucht entweder in der Farbe des Hochzeitsschleiers oder gar – kleides wieder auf oder zumindest im Gürtel und dem aus Perlen und Blumen bestehenden Kopfschmuck. Der Kreis schließt sich dann mit dem Rot des Jungfrauenblutes auf dem Bettlaken nach Vollziehung der Ehe in der Hochzeitsnacht.
Als Aysegül und ich die Wohnung betraten, in der das Fest abgehalten wurde, stockte mir fast der Atem. Hier drängten sich bestimmt an die hundert Frauen auf etwa achtzig Quadratmetern. Es ging zu wie in einem Bienenstock. Die Luft, die dort herrschte, konnte man getrost als stickig bezeichnen. Kaum hatten die Frauen unser Kommen bemerkt, begrüßten sie uns auch schon herzlich. Lauter fremde Münder küssten meine Wangen. Erstaunlicherweise schienen alle diese Frauen genau zu wissen, wer ich war. Ich hingegen konnte nur einige wenige Gesichter zuordnen, nämlich die von Mahmuds Schwestern und Cousinen. Besonders freute ich mich über die Anwesenheit Hatices. Zufrieden registrierte sie, dass ich das Kopftuch trug, das sie mir einst geschenkt hatte. Da meine Türkischkenntnisse mittlerweile für einfache Gespräche
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