Gefangen in Deutschland
bringen.
Als ich ungefähr eine Woche nach der Unheil bringenden Begegnung mit unserem neuen Nachbarn die Wohnung für ein paar Besorgungen verlassen wollte, wäre ich fast über einen herrlichen Blumenstrauß gestolpert, der vor unserer Tür lag. Von Neugier erfüllt, kehrte ich mit dem Strauß in die Wohnung zurück, um ihn auf eine Karte hin zu untersuchen, die Aufschluss über den Absender geben könnte. Wie sich herausstellte, war der Blumenstrauß von Kerim. Er wolle sich für die Unannehmlichkeiten entschuldigen, die ich seinetwegen gehabt hätte, schrieb er.
Mir stockte der Atem. Wie konnte dieser Mann mir das antun! Ich kannte Kerim kaum und lief nun schon zum zweiten Mal Gefahr, seinetwegen in riesige Schwierigkeiten zu geraten. Hätte Mahmud die Blumen nebst zugehöriger Karte in die Hände bekommen, wäre die letzte Auseinandersetzung noch ein harmloser Spaziergang gewesen gegen das, was mich dann erwartet hätte.
Schnell nahm ich die Karte, legte sie ins Spülbecken und zündete sie mit einem Feuerzeug an. Anschließend stopfte ich die Blumen in den Müllcontainer im Hof. Da die Tonnen von allen Mietern benutzt wurden, konnte Mahmud auf keinen Fall nachvollziehen, wem der Strauß gehört hatte.
Als Petra am Nachmittag vorbeikam, um nach mir zu sehen, und ich ihr von Kerims Strauß berichtete, war sie genauso empört wie ich.
»Aber …« Fragend blickte sie mich an. »Woher weiß Kerim überhaupt, was passiert ist?«
Darüber hatte ich noch gar nicht nachgedacht.
Petra versprach mir, später bei Hülya und Erika vorbeizugehen und mit den beiden zu reden. Sie sollten Kerim begreiflich machen, dass er jeden Kontaktversuch zu mir absolut zu unterlassen hätte. Er musste unbedingt wissen, dass er mich damit in ernstliche Gefahr brachte.
Als Mahmud abends nach Hause kam, eröffnete er mir, dass sein Vater und zwei seiner Onkel ihren Besuch für denselben Abend angekündigt hätten. Hatte Aysegül ihre Ankündigung wahr gemacht und mit ihrem Vater gesprochen?
Mahmud wollte wissen, ob ich mich bei seiner Familie über ihn beschwert hätte. Sein Vater hatte uns noch nie besucht, und so konnte er sich das plötzliche Interesse der Familienältesten nicht erklären.
»Nein«, antworte ich wahrheitsgemäß.
Ich klärte Mahmud allerdings auch nicht darüber auf, dass ich ahnte, wer mit seinem Vater gesprochen haben könnte. Stattdessen begann ich Vorbereitungen für den Besuch zu treffen. Ich richtete frisches Obst in einer Schale an und setzte Wasser für eine neue Kanne Tee auf. Auf ein Tablett stellte ich Teegläser sowie ausreichend Zucker und eine frische Zitrone. Mahmud beobachtete mich mit Argusaugen, verkniff sich aber jeglichen Kommentar.
Als die Männer eintrafen, spürte ich, dass er angespannter war als sonst. Ich wusste, dass Mahmud vor seinem Vater großen Respekt hatte. Höflich geleitete er den Besuch in unser Wohnzimmer. Ich kam lediglich für einen kurzen Moment hinzu, um den Gästen den Tee und das Obst zu servieren. Dann zog ich mich in die Küche zurück.
Da die beiden Räume aneinandergrenzten, konnte ich jedes Wort verstehen. Mahmud wurden Vorwürfe gemacht, weil er mich so schlecht behandle und ich relativ oft äußere Anzeichen von Gewalt aufweise. Aysegüls Vater wollte von Mahmud wissen, ob ich mich denn wirklich so schlecht benähme, dass diese Misshandlungen notwendig wären.
Nun war ich aber sehr gespannt, was Mahmud ihnen für Lügenmärchen auftischen würde! Doch zu meinem großen Erstaunen eröffnete er seinen Verwandten, er liebe mich über alles, aber diese Liebe raube ihm eben von Zeit zu Zeit den Verstand.
Plötzlich wurde es still im Wohnzimmer. Ich wusste, dass es in der türkischen Kultur für einen Mann absolut unüblich war, mit seinem Vater oder anderen männlichen Familienmitgliedern über Gefühle zu sprechen. Die Verblüffung der Anwesenden war förmlich durch die Wand hindurch zu spüren.
Nach einer Weile brach Mahmuds Vater das Schweigen.
»Ich würde es für das Beste halten, wenn ihr heiratet«, lautete kurz und knapp der Rat, den er seinem Sohn gab.
Ich hielt die Luft an. Mit allem Möglichen hatte ich gerechnet, nur nicht mit einem bevorstehenden Heiratsantrag! Diesen Mann, der mir schon so viel angetan hatte, wollte ich ganz bestimmt nicht auch noch zu meinem Ehemann erküren! »Warum sollte eine Hochzeit deinen Sohn davon abhalten, mich auch künftig zu schlagen?«, hätte ich Mahmuds Vater am liebsten gefragt.
Ich konnte hören, wie die
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