Gefangen in Deutschland
gesellschaftlichen Ereignissen, im Gegenteil, ich spürte deutlich, wie unwohl sie sich in dieser für sie vollkommen fremden Umgebung fühlte.
Es wunderte mich sowieso, dass sie noch nicht längst abgereist war, denn zwischen ihr und Mahmud hatte es eine ziemlich heftige Auseinandersetzung gegeben. Aus irgendeinem nichtigen Anlass heraus hatte Mahmud mich grob am Arm gepackt und mir ein paar seiner üblichen Schimpfwörter an den Kopf geknallt. Es war das erste Mal, dass er sich in Gegenwart meiner Mutter so gehen ließ. Die reagierte so, wie wahrscheinlich jede andere Mutter auch reagiert hätte: Sie nahm mich sofort in Schutz und riss mich aus seiner Umklammerung.
Mahmud war zunächst völlig perplex, fing sich aber sofort wieder und richtete seinen ganzen Zorn plötzlich gegen meine Mutter. Bevor sie sich noch irgendwie in Sicherheit bringen konnte, hatte er sie auch schon an beiden Armen gepackt und brutal gegen den Kühlschrank gestoßen.
»Misch dich nicht ein, wenn ich mit deiner Tochter eine Auseinandersetzung habe!«, brüllte er zornentbrannt.
Meine Mutter war im ersten Moment wie vom Donner gerührt, während ich mich zutiefst für Mahmuds Wutausbruch schämte. Nachdem sie sich wieder etwas gefangen hatte, verließ sie wortlos unsere Wohnung, um einen langen Spaziergang zu machen. Bei ihrer Rückkehr entschuldigte sich Mahmud sofort bei ihr. Der Form halber nahm sie seine Entschuldigung an. Doch ich werde nie die Verachtung und den Abscheu in ihrem Gesicht vergessen, als sie ihm dabei in die Augen sah.
Immerhin hatte ich – entgegen Aysegüls Warnung – mit Alev keinerlei Probleme. Obwohl sie kaum älter war als ich, verhielt sie sich mir gegenüber fast mütterlich. Sie sah ja, dass ich gesundheitlich schwer angeschlagen war, und übernahm fast die ganze Hausarbeit inklusive Kochen. Ich genoss es, nach so langer Zeit wieder einmal umsorgt zu werden.
Den einzigen Wermutstropfen in jenen beinah glücklichen Tagen stellte Aysegül dar. Sie schien tatsächlich eifersüchtig zu sein, weil Alev und ich so gut miteinander auskamen. Ständig stand sie mit irgendwelchen fadenscheinigen Ausreden vor meiner Tür und blieb dann oft über Stunden an unserem Küchentisch sitzen, als wäre sie von der Angst getrieben, irgendetwas zu verpassen.
Als ich zum ersten Mal seit Langem wieder einmal allein mit ihr war, sprach ich sie direkt darauf an. Empört stritt sie meine Vermutung ab. Sie wurde sogar fast schon ein bisschen böse.
»Du spinnst doch, Katja!«, fuhr sie mich an. »Warum sollte ich denn eifersüchtig sein? Ich mache mir höchstens Sorgen um dich.«
Verlegen fuhr sie mit dem Finger das Muster der Tischdecke nach. Ich stand auf, um sie in den Arm zu nehmen.
»Ich weiß nicht, was zwischen dir und Alev schiefläuft, aber ich komme gut mit ihr zurecht«, versuchte ich sie zu beruhigen.
»Dann ist es ja gut! Ich hoffe nur für dich, dass das auch so bleibt.«
Sichtlich verärgert erhob sich Aysegül von ihrem Stuhl und schob mich zur Seite. Sie stellte noch ihre leere Tasse in die Spüle und verließ dann ohne ein weiteres Wort zu verlieren die Wohnung.
Ich war von ihrem Verhalten mehr als genervt. Wenn sie unbedingt die beleidigte Leberwurst spielen wollte, dann sollte sie doch! Was konnte ich dafür, wenn die beiden Frauen ein Problem miteinander hatten?
Ungefähr zwei Wochen nach der missglückten Aussprache mit Aysegül waren Alev und ich allein in der Stadt unterwegs. Mahmuds Schwester hatte einen Termin bei der Ausländerbehörde und ich musste sie begleiten.
Diese Termine gingen mir immer sehr an die Nieren. Egal wer von der Familie zum Sozialamt oder zur Ausländerbehörde bestellt wurde – ich musste zum Dolmetschen mit. Dies war es aber nicht, was mich störte, im Gegenteil, brachte mein Übersetzerjob doch mit sich, dass ich zumindest für ein paar Stunden der bedrückenden Atmosphäre in meiner Wohnung entfliehen konnte. Nein, mein Problem lag in den Betrügereien, in die ich durch meine Vermittlungstätigkeit zwangsweise verstrickt war. Mahmuds Familie wusste nämlich ganz genau, mit welchen Tricks sie unseren Sozialstaat am besten schröpfen konnte. Die meisten Familienmitglieder bezogen Sozialhilfe, da sie in Deutschland als Asylanten galten und keine gültige Arbeitserlaubnis erteilt bekamen. Die anderen, die schon länger hier lebten und einen gültigen Aufenthalts- und Arbeitsstatus besaßen, waren oft selbstständig und beschäftigten ihre Verwandten dann einfach illegal in
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