Gefangen in Deutschland
vollkommen egal.
Als ich meine Schilderung beendet hatte, herrschte zunächst Schweigen. Frau Decker wirkte tief betroffen. Ich konnte förmlich sehen, wie sie mit ihren Gefühlen kämpfte.
»Also, wenn ich das alles richtig verstanden habe, ist die ungewollte Schwangerschaft Ihr kleinstes Problem«, fasste sie schließlich zusammen. »Haben Sie schon einmal darüber nachgedacht, in ein Frauenhaus zu gehen?«
Ja, natürlich hatte ich über die Möglichkeit, in ein Frauenhaus zu gehen, schon nachgedacht, aber ich wusste auch, dass der Aufenthalt dort nur eine begrenzte Zeit möglich wäre. Irgendwann würde ich allein zurechtkommen müssen, und davor hatte ich höllische Angst. Mahmud würde mich überall finden, dessen war ich mir ganz sicher.
Frau Decker konnte meine Bedenken gut verstehen. Trotzdem gab sie mir eine Karte mit der Notfallnummer des ortsansässigen Frauenhauses. Sie schärfte mir ein, beim nächsten körperlichen Übergriff durch Mahmud in einem unbemerkten Augenblick aus der Wohnung zu flüchten und von einer Telefonzelle aus diese Nummer anzurufen. Eine der Sozialarbeiterinnen würde mich dann abholen und in Sicherheit bringen. Obwohl ich genau wusste, dass ich niemals den Mut dazu aufbringen würde, steckte ich die Karte des Frauenhauses in meine Handtasche. Ich würde nur schauen müssen, wo ich sie zu Hause aufbewahren könnte, ohne dass Mahmud sie fand, denn er kontrollierte regelmäßig meine Geldbörse und meine Handtasche. Zum Abschluss des Gesprächs händigte Frau Decker mir noch den Beratungsnachweis aus, dessentwegen ich eigentlich gekommen war.
Kaum standen wir wieder auf der Straße, überhäufte Aysegül mich mit Vorwürfen.
»Wie konntest du meine Familie so verraten? Einer vollkommen Fremden alles anzuvertrauen! Das geht nur dich und uns etwas an – aber doch nicht jemanden, den keiner von uns kennt. Noch dazu einer Deutschen!«
Obwohl ich mich natürlich zu verteidigen suchte, konnte ich Aysegül nicht verübeln, dass sie so dachte. Schließlich war sie von klein auf zum Schweigen erzogen worden. In ihrer Kultur war es eine Todsünde, mit seinen Problemen nach außen zu gehen. Höchstens den Frauen der Familie erzählte man, wie schlecht einen der eigene Mann behandelte.
Schweigend traten wir den Weg nach Hause an, wo ich mir gleich die Liste vornahm, die mein Frauenarzt mir ausgehändigt hatte. Ich hatte nun alle erforderlichen Papiere beisammen und wollte so schnell wie möglich den Schwangerschaftsabbruch hinter mich bringen. Ich spürte, wie mir die Vorstellung, das Leben in meinem Körper einfach abzutöten, von Tag zu Tag mehr Unbehagen bereitete und ich zunehmend Angst vor dem geplanten Eingriff bekam.
Wieder hatte ich großes Glück. Schon bei der ersten Praxis, bei der ich anrief, konnte ich für die kommende Woche einen Termin vereinbaren. Nun musste ich nur noch einen Weg finden, wie ich für die Zeit, die der Eingriff mitsamt anschließender Erholungsphase erfordern würde, die Wohnung verlassen konnte, ohne Mahmuds Misstrauen zu erregen.
Er schien sowieso schon bemerkt zu haben, dass irgendetwas anders war als sonst. Ich saß oft gedankenverloren in der Küche herum und hielt stille Zwiesprache mit dem wachsenden Leben in mir. Für das Baby tat es mir unendlich leid, dass es nicht zur Welt kommen durfte. Mahmud meinte unterdessen, den Grund für meine Niedergeschlagenheit zu kennen. Er war der Meinung, ich trauerte meinem ehemaligen Chef hinterher. Er glaubte nach wie vor allen Ernstes, dass ich mit Herrn Dittrich ein Verhältnis gehabt hätte, und hatte mich gezwungen, den Job in der Bäckerei sofort wieder zu kündigen.
Weil ich davon ausgehen musste, wegen dieses falschen Verdachts besonders intensiv von Mahmud kontrolliert zu werden, blieb mir nichts anderes übrig, als meine Mutter einzuweihen und sie zu bitten, mich zu besuchen. Meiner Mutter gegenüber zeigte Mahmud großen Respekt, einen mehrstündigen Stadtbummel oder Kinobesuch mit ihr würde er mir sicherlich nicht verbieten.
Meine Mutter war mehr als entsetzt, als ich ihr meine Situation schilderte. Natürlich verschwieg ich ihr, dass Mahmud mich regelmäßig krankenhausreif prügelte, sondern schob finanzielle Gründe für die Abtreibung vor. Ich erklärte ihr, dass Mahmud sich über alles ein Kind wünsche und für meinen Entschluss sicherlich kein Verständnis aufbringen würde, weshalb er nichts davon erfahren dürfe. Um sie auf meine deutlich sichtbaren äußeren Verletzungen
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