Gefangen in Deutschland
Schwächling bezeichnen kann, gab mir seine Anwesenheit nicht annähernd ein Gefühl von Sicherheit.
Als wir ins Haus kamen, sah ich sofort, dass meine Mutter noch nicht zu Bett gegangen war. Im Wohnzimmer brannte Licht und ich konnte hören, dass der Fernseher lief.
»Schön, dass ihr wieder da seid!«, begrüßte sie uns. »Hattet ihr einen netten Abend?«
Während mein Bruder sofort schlafen ging, weil er am nächsten Morgen früh aufstehen musste, holte ich mir noch etwas zu trinken aus der Küche und erzählte meiner Mutter von dem weiteren Verlauf des Abends.
»Na, dann hattest wenigstens du zur Abwechslung mal ein paar Stunden Spaß.« Sie schenkte mir ein etwas bedröppeltes Lächeln. »Während ich hier fast stündlich Mahmuds Drohanrufe entgegennehmen durfte …«
Ich fuhr zusammen, als hätte sie mir einen Schlag in die Magengrube verpasst. Er hatte also doch keine Ruhe gegeben! Würde er gleich vor der Tür stehen und Sturm klingeln? Die Tür versuchen einzutreten, wenn wir ihm nicht freiwillig aufmachten? Sein Gesicht gegen meine Schlafzimmerscheibe pressen und mich aus seinen funkelnden schwarzen Augen lauernd beobachten?
Als meine Mutter meinen panischen Gesichtsausdruck sah, legte sie mir sofort beschwichtigend die Hand auf die Schulter.
»Mach dir keine Gedanken, Katja! Mahmud ist zwar furchtbar wütend, aber er kann dir nichts mehr anhaben. Du bist jetzt hier erst mal in Sicherheit. Und morgen früh sehen wir weiter, wo wir einen guten Unterschlupf für dich finden und was in Zukunft aus dir werden soll.« Ihre Stimme wurde noch ein wenig eindringlicher. »Weißt du, Katja, entscheidend ist, dass du für dich diesen Schritt getan und dich von ihm getrennt hast. Das ist das eigentlich Wichtige: In deinem Inneren hat sich etwas verändert, du hast endlich mit dieser Beziehung abgeschlossen, du bist ein für alle Male fertig mit ihm!«
Sie lächelte mich an. Diesmal war ihr Lächeln voller Zuversicht. Und Stärke. Ich wusste, ich würde mich auf sie verlassen können. Meine Mutter würde mich nicht im Stich lassen, genauso wenig wie mein Bruder. Sie würde für mich kämpfen, wenn es sein musste. Wie eine Löwin um ihr Kind.
»Es ist vorbei, Katja. Du bist frei! Ein neues Leben beginnt für dich«, lachte meine Mutter und griff nach meiner Hand.
»Ja, Mama, ich weiß«, erwiderte ich.
Aber genauso wusste ich, dass ich mich noch auf einiges gefasst machen musste. »Ich werde dich finden, Katja! Und wenn ich dich gefunden habe, werde ich dich töten«, hatte Mahmud gesagt. Ich kannte ihn gut genug, um die Gewissheit zu haben, dass er seine Worte bitterernst gemeint hatte. Dieses Mal indes würde ich nicht allein sein in meinem Kampf gegen ihn. Ich hatte eine Familie, die mir helfen würde. Und ganz sicher würden auch Ralfs Freunde und andere Menschen mich unterstützen.
Entscheidend war jedoch – und hier hatte meine Mutter wirklich recht –, dass sich diese Wandlung in mir vollzogen hatte: Ich war nicht mehr Mahmuds Geschöpf, ich war endlich wieder ich selbst.
E PILOG
L ange Zeit habe ich mich gefragt, wie ich fast vier Jahre meines Lebens in einer solchen Tyrannei verbringen konnte. Wieso habe ich mir von Mahmud so viel gefallen lassen? Warum bin ich nicht schon früher aus meinem Gefängnis geflohen? Ich war immer ein sehr selbstständiger Typ gewesen, hatte mich auch in schwierigen Situationen zu arrangieren gewusst, ohne größeren Schaden davonzutragen. Ich war zwar jung, als Mahmud mir begegnete, aber keineswegs naiv. Mein Wesen war auch nie von Unterwürfigkeit geprägt, hatte ich, bedingt durch die Alkoholsucht meiner Eltern, doch schon sehr früh auf eigenen Beinen stehen müssen, was eher die Kämpferin in mir befördert hatte. Von diesen Charaktereigenschaften war allerdings nach wenigen Wochen Beziehung mit Mahmud kaum mehr etwas zu spüren gewesen.
Irgendwann, nachdem ich mich monatelang mit meinen Selbstzweifeln und Ängsten herumgequält hatte – denn natürlich konnte ich meine traumatischen Erlebnisse aus dieser Zeit nicht so leicht wegstecken –, beschloss ich, eine Therapie zu machen. Meine Psychologin brauchte nicht lange, um mir eine nachvollziehbare Begründung für mein Verhalten zu liefern. Ich hatte in meiner Kindheit nie das Gefühl von Geborgenheit erlebt; meine Eltern waren zu sehr mit ihrem Alkoholismus beschäftigt gewesen, als dass sie sich richtig um mich hätten kümmern können. Dann – ich war gerade einmal zwölf Jahre alt – starb mein
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