Gefangen in Deutschland
geahnt – und dir doch keine Hilfe angeboten …«
Nachdem wir uns beide halbwegs beruhigt hatten, setzten wir uns ins Wohnzimmer und ich erzählte meiner Mutter mein ganzes Martyrium der letzten Jahre. Ich ließ nichts aus und beschönigte nichts. Die ganze Zeit hielt sie meine Hand und hörte mir schweigend zu.
Kaum war ich mit meinem Bericht fertig, durchbrach das Klingeln des Telefons die eingetretene Stille. Eine Zornesfalte bildete sich auf der Stirn meiner Mutter, als sie den Hörer abgenommen und der Anrufer seinen Namen genannt hatte.
»Für dich«, sagte sie tonlos. »Mahmud möchte dich sprechen.«
Mit zitternden Händen ergriff ich den Hörer.
»Ja, bitte?«, brachte ich kläglich zustande.
»Katja, ich erwarte, dass du spätestens morgen früh wieder zu Hause bist!«, erklärte er in seinem üblichen autoritären Tonfall, der keinen Widerspruch duldete.
Ich nahm all meinen Mut zusammen.
»Ich werde nicht mehr zurückkommen!«, erwiderte ich fest.
Einen Moment blieb es still am anderen Ende der Leitung. Selbst am Telefon konnte ich spüren, dass Mahmud von meiner plötzlichen Gegenwehr überrascht war.
»Übertreib es nicht, Katja! Sonst könnte es dir leidtun«, versuchte er mich einmal mehr einzuschüchtern.
»Kann schon sein, Mahmud, aber das ist mir egal. Von nun an werde ich um meine Freiheit kämpfen. Schlimmer als die letzten dreieinhalb Jahre meines Lebens kann sowieso nichts sein, nicht einmal der Tod.«
Ich hörte, wie Mahmud tief Luft holte.
»Ich werde dich finden, Katja!«, presste er hervor. »Das schwöre ich dir auf das Leben meiner Mutter! Und wenn ich dich gefunden habe, werde ich dich töten. Es wird ein langsamer und qualvoller Tod sein und du wirst dir wünschen, mich nie kennengelernt zu haben.«
»Mach’s gut, Mahmud!«, war alles, was ich darauf erwiderte, bevor ich meiner Mutter den Hörer zurückgab und sie bat aufzulegen.
25. K APITEL
Der Geschmack der Freiheit
I ch brauchte eine Weile, bis ich das Zittern, das längst auf meinen ganzen Körper übergegangen war, wieder in den Griff bekam. Meine Mutter verließ das Wohnzimmer und kam kurz darauf mit einem Glas Wasser und einer Schachtel Baldriantabletten zurück. Dankbar ließ ich mir von ihr zwei Beruhigungspillen geben und spülte sie mit dem Leitungswasser hinunter. Tatsächlich spürte ich bald darauf, wie ich etwas gelassener wurde und mein Verstand wieder zu arbeiten begann.
»Mama, ich kann auf keinen Fall hierbleiben! Wenn ich bis morgen nicht wieder bei Mahmud bin, wird er herkommen und mich holen.«
Verzweifelt schaute ich meine Mutter an. Mit einer liebevollen Geste strich sie mir über den Kopf.
»Ja, Katja, daran habe ich auch schon gedacht.«
Tiefe Sorgenfalten hatten sich in ihr Gesicht gegraben. Ich konnte sehen, wie sie angestrengt überlegte, was jetzt am besten zu tun sei. Auch ich selbst ging gedanklich alle Freunde, Bekannte und Verwandte durch, deren Zuhause sich eventuell dazu eignen könnte, mir ein paar Wochen oder gar Monate als Unterschlupf zu dienen. Dummerweise hatte ich jedoch außerhalb von Mahmuds Familie alle Kontakte abgebrochen und die wenigen Vertrauten, die mir geblieben waren, lebten einfach nicht weit genug von Mahmuds und meiner Wohnung entfernt.
Weil meine Mutter und ich mit unseren Überlegungen zu keinem brauchbaren Ergebnis kamen, beschloss ich, erst einmal ausgiebig zu duschen. Ich war noch immer völlig verschwitzt von meinem Kampf mit Aysegül und den Strapazen der Flucht. Glücklicherweise hatte meine Mutter noch ein paar alte Klamotten von mir aufbewahrt. Weil ich durch den ewigen Kummer stark abgenommen hatte, passten sie mir sogar noch.
Als ich unter dem heißen Duschstrahl stand, begann ich zum ersten Mal wirklich zu begreifen, dass ich nun eine reale Chance auf ein freies Leben hatte. Mir war klar, dass ich für einen echten Neuanfang noch viele Hindernisse würde überwinden müssen, aber in dem Moment war ich der festen Überzeugung, es schaffen zu können. Ich spürte förmlich den Geschmack der Freiheit auf der Zunge und begann mir mein künftiges Leben in den buntesten Farben auszumalen. Ich würde wieder schwimmen gehen, mir einen neuen Freundeskreis aufbauen, Diskotheken besuchen, ungehindert mit anderen Männern reden und sämtliche Entscheidungen, die mein Leben betrafen, allein und nach meinem ureigenen Willen treffen können. Längst hatte ich vergessen, dass all diese Dinge absolut selbstverständlich waren für eine junge Frau in meinem
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