Gefangen
nickt, als sei damit alles klar. Warum bedeutet ihm meine Meinung eigentlich so viel? Warum zählt überhaupt, was ich sage?
Wir machen noch eine Weile belanglosen Small Talk, dann fahren Ryan und ich wieder weg. Als ich kurz zurückblicke, sehe ich Richard Coates wie einen ruhelosen Geist auf seinem Motorradfriedhof herumirren. Dann ist er aus meinem Blickfeld verschwunden.
Kapitel 15
„Was war denn los mit dir, verdammt noch mal?“, zischt Brenda mir gehässig zu, als ich für die letzte Stunde an diesem Ta g – Math e – in die Paradise High zurückkomme. „Wir suchen dich schon seit Stunden.“
Ihre beiden Leibsklavinnen, die wie immer dabei sind, bauen sich mit grimmigen Gesichtern rechts und links von mir auf. Wie es aussieht, kann ich sie heute nicht abschütteln. Vielleicht hat Brenda mich heute Morgen in Ryans Wagen steigen sehen und will mir jetzt eine Szene machen, nur um sich ein bisschen aufzuplustern. Aber da fällt mir wieder ein, was gestern Abend im Mulvany’s los war.
„Ach, nichts weiter. Meine Medikamente vertragen sich nur nicht mit dem Zeug, das Bailey mir in die Drinks gemixt hat“, sage ich entschuldigend mit einer piepsigen Kleinmädchenstimme und lasse den Kopf hängen, so wie Carmen es vermutlich machen würde. „Ryan war stinksauer heute Morgen. Er wär so gern ins Mulvany’s zurück. Ich kann froh sein, dass er mich nicht erwürgt hat, als ich wieder zu mir gekommen bin.“
Meine Lüge wirkt Wunder. Die Braunhaarige mit der Stachelfrisur, dem dicken Lidschatten und dem Lederfetisch tritt einen Schritt zurück, ebenso das blonde Pferdegesicht mit den perfekt lackierten Fingernägeln, und Brenda wanzt sich mit einem entzückten „Ehrlich?“ an mich heran.
„Ich hab’s dir ja gleich gesagt“, schleimt die Braunhaarige hinter mir. „Das war doch klar.“
„Ja, e y – Kayla hat’s gecheckt“, stimmt die Blonde zu. „Er steht immer noch wahnsinnig auf dich.“
„Ach, halt die Klappe, Jackie!“, sagt Brenda ungeduldig. „Was hat er sonst noch gesagt?“
Wir stehen jetzt direkt vor dem Klassenzimmer, und ich habe kein schlechtes Gewissen, weil ich gleich noch mal lügen muss. Brenda geht mich nicht das Geringste an. Sie ist Ryans Baustelle, nicht meine. Soll er sich doch selber mit ihr herumschlagen.
„Das musst du dir von ihm selber erzählen lassen“, erwidere ich mit Unschuldsmiene. „Ihr beide habt ja noch so viel aufzuarbeiten. Er redet immer nur von dir. Ich würde ihn anrufen, wenn ich du wäre. Und zwar heute noch.“
Brenda nickt eifrig, während ich mir das Grinsen verkneifen muss. Viel Glück!, kann ich nur sagen.
Als wir heute Morgen aus dem Haus gegangen sind, hat Ryan etwas davon genuschelt, dass er eine der beiden Kirchen von Port Marie unter die Lupe nehmen will. Er rennt immer noch seiner fixen Idee nac h – mit anderen Worten: Ryan und sein Freund der Eispickel dürften kaum erreichbar sein, solange es noch hell ist.
„Ach ja, noch was“, sage ich, während wir auf ein paar leere Bänke hinten im Raum zusteuern, möglichst weit weg von Tiffany, Delia und ihrer Clique. Sie werfen mir giftige Blicke zu, weil ich so dreist bin und mich bei den Einheimischen einschleime, statt mich von ihnen fertigmachen zu lassen. „Du weißt ja, ich wohne in Laurens Zimmer und bin praktisch umzingelt von ihren Fotos. Das macht mich natürlich neugierig. Sie war doch deine beste Freundi n …“
Brendas „Ja?“ klingt etwas weniger unterkühlt als sonst.
„Hatte Lauren einen Freund, als sie verschwunden ist?“, frage ich naiv, weil ich nicht aus meiner Klein-Mädchen-Rolle fallen will.
Es gibt Bilder von Lauren und Richard, aber keine von Brenda und Richard. Richard ist auch sonst auf keinem der anderen Fotos zu sehe n – nicht mit Kayla, Jackie, Todd, Clint oder Bailey oder irgendwelchen anderen Leuten, die ich aus der Paradise High kenne. Außerdem gibt es Bilder von Lauren mit ein paar anderen Typen, die ich in dieser Schule noch nirgendwo gesehen habe. Wenn Brenda wirklich Laurens beste Freundin war, müsste sie doch etwas über Laurens Liebesleben wissen. Vielleicht war es viel komplizierter, als Ryan denkt.
Brenda, in Gedanken immer noch bei ihrem Ex, antwortet beinahe freundlich: „Lauren stand nie auf coole Typen, nur auf Freaks. Sie ging damals mit so ’nem Loser namens Richard, so ’n mickriger Typ mit lauter Versagerkumpeln, die noch mickriger waren als er. Ehrlich, ich würde lieber sterben, als mich mit so jemandem blicken zu
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