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Gefangen

Gefangen

Titel: Gefangen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Lim
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geschafft!“, ruft er begeistert, und die Schüler springen auf und drängen in lärmenden Grüppchen aus dem Saal.
    Tiffany stürmt mit ihrem Gefolge zur Tür, ohne Rachel und mich auch nur eines Blickes zu würdigen. Rachel dagegen winkt mir ganz euphorisch zu und läuft dann so schnell hinter den anderen her, dass ihre aschblonde Glockenfrisur im Nacken auseinanderfächert. Ich würde ihr am liebsten sagen, dass sie sich die Mühe sparen kann. Tiffany wird garantiert nicht mit ihr reden.
    Spencer dreht sich mit einem erleichterten Lächeln zu mir um. „Danke“, murmelt er. „Ich musste einfach mal hören, wie es klingt. Sag’s bloß nicht weiter, aber ich kan n … äh m … ich kann nicht besonders gut Noten lesen. Und wir haben kein Klavier zu Hause.“
    „Kein Problem“, sage ich lächelnd und bin überrascht, wie ehrlich es klingt. Die Highschool muss für Leute wie Carmen oder Spencer das reinste Haifischbecken sei n – für Menschen ohne Schutzpanzer gegen die Gemeinheiten des Lebens.
    „Hast du Lust auf einen Kaffee?“, frage ich so beiläufig wie möglich. Ich will nicht, dass er auf falsche Gedanken kommt. So was könnte bei einem Typ wie Spencer leicht passieren. Ich muss nur mal mit ihm reden.
    Wie erwartet, leuchten seine Augen auf, aber dann verfinstert sich sein Gesicht wieder. „Ich mus s … also, das Problem ist, dass M r … äh m … Stenborg auf mich wartet. Ich muss heute Abend mit den anderen im Shuttle-Bus zurückfahren. Stenborg ist mei n … äh m … Chorleiter. Wir haben nicht genug Tenöre an der Schule, deshalb muss er mit mir vorliebnehme n …“ Er zuckt entschuldigend mit den Achseln. „Du müsstest erst mal die anderen hören.“
    „Du brauchst mir nichts erklären“, sage ich leise und mein Herz zieht sich vor Mitleid zusammen. „Ich rede mit ihm.“
    Ich gehe zu Paul Stenborg hinüber, der wieder mal eine lässige Figur macht mit seinem Klemmbrett und seiner Kuriertasche über der Schulter. Auch sein Outfit hat wieder einen leicht exzentrischen Touch: gestreiftes Hemd, geknöpfte Weste, enge dunkle Hose, dazu DocMartens-Acht-Loch-Stiefel. Das Ganze hat etwas von Zwanzigerjahre-Flair. Spencer trottet zögernd hinter mir durch den Saal und bleibt ein Stück weit entfernt stehen, als wäre es für ihn tabu, sich dem Chorleiter zu nähern.
    „Paul?“, sage ich mit strahlendem Lächeln, und er dreht sich sofort zu mir um. Seine Brillengläser blitzen in der Spätnachmittagssonne, sein verwuscheltes Blondhaar schimmert hell. Und wieder lässt er mit seinem Lächeln die Zeit stehen, so wie es sonst nur Luc kann. Der Typ hat etwas Atemberaubendes. Schönheit ist so selten.
    Ich muss mir einen Ruck geben, als er mir die Hand reicht. Wie verzaubert von dieser Geste, bringe ich gerade noch genug Geistesgegenwart auf, die Hand zu ignorieren, und er lässt sie langsam sinken.
    „Danke für deine Hilfe“, sagt er unvermindert freundlich, obwohl ich ihm gerade eine Abfuhr erteilt habe. „Spencer braucht immer ein bisschen meh r … Ermutigung als die anderen im Chor.“
    Aus dem Augenwinkel sehe ich, dass Spencer gekränkt auf den Boden starrt und mit einem seiner doppelt geknoteten, sauber geputzten Mokassins einen Halbkreis zieht.
    „Dabei ist er der beste Tenor, den wir in Port Marie haben“, fährt Stenborg fort und flüstert laut wie ein Schauspieler auf der Bühne: „Leider.“ Ob Spencer ihn hört, ist ihm egal. Grinsend fragt er mich: „Und was kann ich für dich tun? Eins muss man dir lassen: Du hast unseren fiesen kleinen Test mit Bravour bestanden. Gerard und ich haben vor der Probe über dich gesprochen. Es war seine Idee, dich ein bisschen zu pushen.“
    Als hätte er Pauls Worte gehört, blickt Gerard Masson hoch und fängt meinen Blick auf. Er zwinkert mir verschwörerisch zu, den Daumen anerkennend in die Luft gereckt.
    Paul quittiert die Geste seines Kollegen mit einem herablassenden Lächeln. „Jetzt wissen wir zumindest, was für eine unglaubliche Stimmweite du hast. Ellin Dustin hatte ja schon so was angedeutet, aber bis heute Nachmittag waren wir völlig ahnungslos. Drei ganze Oktave n – und das mit Leichtigkeit, stimmt’s?“
    Ich begnüge mich mit einem höflich unverbindlichen Lächeln, denn wer weiß, wozu Carmen ohne mich fähig ist. Ich kann unsere Wesenszüge nicht scharf genug voneinander trennen, um das einschätzen zu können.
    „Ist es okay, wenn ich mit Spencer ein paar Stunden zusätzlich übe?“, frage ich stattdessen. „Nur

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