Gefangen
erhasche au f …
… Uri und seine sieben Brüder, die sich gegen mich verschworen haben. Sie sind schön und schrecklich zugleich, haben die Wahrzeichen ihrer Macht erhoben. Hinter ihnen wogt eine glorreiche, weiße Heerschar und das ganze unermessliche Universum kreist um uns. Planeten, Sterne, Sonnen, Monde, große und kleine Himmelskörper fliegen vorbei; Kometen, schwarze Löcher, Supernovä, Zeitsprünge und Raumschleifen drehen sich über uns wie eine gemalte Kuppel, die lebt und sich ständig verändert.
Zu Hause. Ein Wort, das mich glühend heiß durchzuckt.
Es ist eine echte Erinnerung, eine meiner frühesten. Mein Herz hüpft vor Freude, denn neben mir spüre ich Luc und eine weitere leuchtende Schar in unserem Rücken. Wir sind der Mittelpunkt eines gewaltigen Ereignisses, einer drohenden Feuersbrunst, eines atemlosen Moments, einer Wunde im Leib der Zeit.
Und als erlebte ich den Augenblick noch einmal, als geschähe alles jetzt, sehe ich meinen Geliebten. Wie ein Löwe, wie ein Sonnengott kommt er daher. Ich will mich umwenden, ihn ansprechen, meine Hände auf seine legen, zitternd vor Dankbarkeit für das Wunder einer solchen Wiederauferstehung. Wie lange habe ich darauf gewartet? Aber da höre ich ihn sagen: „Nimm hier, als Akt des Glaubens oder als Geste meines guten Willens, das, was mir am teuersten ist.“ Sein Ton ist endgültig, ehern wie eine Totenglocke. „Ich erlaube es.“
Im selben Moment spüre ich ein Brennen in meiner linken Hand, den ursprünglichen Schmerz, die Wunde, aus der alle weiteren Wunden kamen, alles spätere Unglück, und auf einmal wird die Welt weiß und leer. Ich bin taub, stumm und blind. Ich existiere nicht mehr für die leuchtende Schar. Ich werde im Handumdrehen ausgestoßen, meine Verbindung zu den anderen wird für immer gekappt, und ich bin nur noch ein abgetrenntes Glied, das nie mehr zu seinem Körper zurückfinden wird.
Und wieder bin ich verloren, werde abrupt aus dem Einssein mit Uri gerissen, der sichtlich erschüttert ist.
„Exaudi nos, Domine“ , wispert er und starrt auf die Stelle, an der gerade noch unsere Hände vereint waren, als könnte sich dort eine frische Narbe gebildet haben. Ich weiß nicht, ob diese Berührung Tage oder Stunden gedauert hat.
„Wenn jemand weiß, wie das läuft, dann du“, stoße ich hervor. „Gott hilft nur dem, der sich selbst hilft, oder hast du das vergessen?“ Ich merke, dass ich mich endlich aufsetzen kann. Ich umschlinge Carmens knochige Knie und blicke in Uris schönes Antlitz, was ihm ein schiefes Lächeln abringt.
„Genau an diesem Punkt scheiden sich die Geister“, sagt er und Wehmut liegt in seiner Stimme. „Du hast dich wirklich verändert. Ich hätte es nie gedacht, aber mein Informant hat die Wahrheit gesagt.“
Die Zeit ist knapp, in jeder Hinsicht. Deshalb nutze ich sein flüchtiges Wohlwollen au s – sofern ein Wesen wie er überhaupt zu einer Empfindung dieser Art fähig is t – und flüstere rau: „Dann hilfst du mir also diesmal? Ich muss sie finden. Ich muss eingreifen. Nur dieses eine Mal. Tu’s für mich, Bruder, es ist doch nur eine kleine Bitte.“
Es fällt mir schwer, meine Stimme ruhig zu halten, und ich frage mich, warum Uri und seine Brüder immer wieder tatenlos zugesehen haben, wie alles um sie herum verloren ging, verwüstet wurde oder für immer verwandelt. Sie standen daneben, ohne einzugreifen, obwohl ihnen doch die Macht gegeben war, alles zu vollbringe n – wirklich alles.
Uri erstarrt, Licht quillt aus ihm hervor wie pulsierendes Blut, wie schwebende Wirbel reiner Energie. Mit sanfter Stimme antwortet er: „Es ist bereits beschlossen. Das weißt du so gut wie ich. Alles, was jetzt und in Zukunft geschieht, hat seine Wurzeln in der Vergangenheit. Jedes Ereignis lässt sich auf eine Ursache zurückführen, und dieser Ursache entspringen immer neue Folgen. Wir allein stehen über den Naturgesetzen, die den Lauf der Welt bestimmen. Und ebenso sind wir als höchste Wesenheiten über Mensch und Tier gesetzt. Deshalb ist eingreifen sinnlos. Das Schicksal des Mädchens ist bereits besiegelt. Es hat keine Bedeutung. Vergiss es.“
Eine ungeahnte Wut steigt in mir auf. „Aber wir sind doch nicht die einzigen Wesen, die einen freien Willen haben“, schreie ich. „Auch die Menschen treffen jeden Tag Entscheidungen in jeder Sekunde ihres Lebens. Die Welt ist Chaos, wie alles, was in ihr lebt. Nichts im Universum ist vorherbestimmt. Ich habe es selbst gesehen. Und
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